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ICE-Trasse braucht Pferdestärken

Neubaustrecke Weil auf den schmalen, steilen Lärmschutzwällen an der Autobahn keine Maschinen fahren können, ist Rückepferd Lukas engagiert worden: Das Kaltblut musste riesige Strohballen ziehen. Von Bianca Lütz-Holoch

Bei jedem Wetter haben Rückepferd Lukas und Peter Schönle auf dem Damm an der A¿8 gearbeitet. Mal regnete es in Strömen, mal bra
Bei jedem Wetter haben Rückepferd Lukas und Peter Schönle auf dem Damm an der A8 gearbeitet. Mal regnete es in Strömen, mal brannte die Sonne vom Himmel. Foto: Carsten Riedl
Die Strohballen auf den Damm hochgehievt hat ein geländegängiger Kranwagen. Foto: privat
Die Strohballen auf den Damm hochgehievt hat ein geländegängiger Kranwagen. Foto: privat

Lukas schnauft. Auch wenn er rund eine Tonne auf die Waage bringt, muss er sich ganz schön ins Zeug legen, um die 400 Kilo schweren Ballen vorwärts zu bewegen. Nicht einfacher machen es an diesem Tag das regnerische Wetter und der schwere Boden auf dem Damm neben der Autobahn zwischen Weilheim und Jesingen. Lukas ist Rückepferd und schwere Fracht gewöhnt. Normalerweise allerdings transportiert das französische Kaltblut zusammen mit seinem Besitzer Peter Schönle Stämme im Wald. Der Einsatz auf den Lärmschutzwällen der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm ist für den stattlichen Schimmel eine Premiere. Und nicht nur für ihn.

„Es ist das erste Mal in meinen 38 Arbeitsjahren, dass ich ein Pferd auf einer Baustelle sehe“, sagt Mario Böhme. Er ist Oberpolier bei der Firma Leonhard Weiss, die zusammen mit der Firma  Fischer Weilheim unter dem Dach der Arge Neubaustrecke für die Ausführung der Arbeiten auf diesem Abschnitt der ICE-Trasse zuständig ist. „Mit Maschinen sind wir hier nicht weitergekommen“, so Böhme. Deshalb habe man sich entschieden, „back to the roots“ zu gehen: zurück zu den Wurzeln, zurück zum Pferd als Arbeitstier.

Die Aufgabe: Um die frisch gepflanzten Sträucher und Bäume auf den Dämmen zwischen Aichelberg und Jesingen zu schützen, sollte Stroh an den Hängen verteilt werden. Schnell wurde klar: Ein Kranwagen kann an einer gut zugänglichen Stelle zwar alle Ballen nach oben auf den Wall hieven, aber nicht in regelmäßigen Abständen auf dem Grat platzieren, sodass die Arbeiter nur noch das Stroh an den Hängen verteilen müssen. Auch andere Maschinen kamen für den Einsatz in luftiger Höhe nicht infrage. „Der Damm ist oben an manchen Stellen nur 50 bis 70 Zentimeter breit“, sagt Mario Böhme. Jedes Mal, wenn ein neuer Ballen geholt wird, führt der einzige Weg an den bereits liegenden Ballen vorbei über den steilen, rutschigen Hang - ein Problem für jede Maschine, nicht aber für Rückepferd Lukas. An langen Zügeln und gelenkt von den Pfiffen und Rufen Peter Schönles befördert er Ballen für Ballen an den richtigen Platz. Ausweichmanöver am steilen Hang bewältigt er spielend. Der Lärm, der von der A 8 nach oben dröhnt, lässt ihn kalt.

„Ich hatte zuerst Bedenken. Schließlich ist das eine immense Herausforderung für das Pferd“, räumt Siegward Betz, Geschäftsführer des Maschinenrings Alb-Neckar-Fils ein. Jetzt allerdings ist er begeistert, wie gut alles klappt. Im Maschinenring haben sich Landwirte zusammengeschlossen, um sich gegenseitig mit Geräten und Arbeitskraft auszuhelfen. „Es wenden sich auch viele Firmen an uns, weil sie wissen: Der Maschinenring kann da ansetzen, wo andere aufhören“, sagt Betz. So war es auch in diesem Fall. Die Firma Herbst aus Unterfranken, die im Auftrag der Arge Neubaustrecke für die Bepflanzung des Walls zuständig war, hatte beim Maschinenring nachgefragt. „Es ist auch für uns das erste Mal, dass wir ein Pferd einsetzen“, sagt Marcus Neuberger von der Firma Herbst. Die Idee ins Spiel gebracht hatte der Holzmadener Landwirt Uli Münsinger. Er ist nicht nur im Maschinenring aktiv, sondern hat auch einen Drei-Jahres-Vertrag für die Bewässerung der Pflanzungen am Wall.

Über den Maschinenring wurde Peter Schönle aus Unlingen im Landkreis Biberach mit seinem Pferd Lukas engagiert - offenbar ein Glücksgriff. Auf die ungewohnte Aufgabe hat Peter Schönle, der im Münsinger Landwirtschaftsamt arbeitet und das Holzrücken als Hobby in seiner Freizeit betreibt, sich und sein Pferd gut vorbereitet. „Wir haben zu Hause Trockenübungen mit einem großen Strohballen gemacht“, berichtet er. Am ersten Tag auf dem Damm gab es noch ein paar Anlaufschwierigkeiten, dann aber flutschte die Arbeit.

So gelassen wie heute ist das neun Jahre alte Kaltblut mit 1,80 Meter Stockmaß allerdings nicht immer gewesen. „Ich habe Lukas als dreijährigen Hengst übernommen, weil ihn niemand mehr haben wollte“, erzählt Peter Schönle, der auch noch andere Rückepferde besitzt. „Lukas war damals nicht einfach“, erzählt er. „Es war ein ziemlicher Kampf mit ihm.“ Viel Arbeit und Geduld haben sich schließlich jedoch ausgezahlt. Übrigens: Lukas hat einen bekannten Vorfahren. „Er ist der Sohn von Tamme Hankens Hengst“, sagt Peter Schönle. Tamme Hanken - 2016 verstorben - war unter anderem im Fernsehen als „Pferdeflüsterer“ bekannt geworden. Er ist der Besitzer des weißen Boulonnais-Hengsts „Jumper“, also Lukas‘ Vater, gewesen.