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„Ich kämpfe dafür, dass die Herzen weniger schmerzen“

Kirche Burundis Erzbischof Ntamwana hat in Hochdorf sein Buch „Nur Versöhnung kann uns retten“ vorgestellt.

„Der einzige Weg ist die Versöhnung“, sagt Burundis Erzbischof Ntamwana.Foto: Katja Eisenhardt
„Der einzige Weg ist die Versöhnung“, sagt Burundis Erzbischof Ntamwana .Foto: Katja Eisenhardt

Hochdorf. „Wer Vergebung verweigert, lässt sein Herz verwildern.“ Dieser Überzeugung ist Erzbischof Simon Ntamwana aus Burundi. Jene Worte in der Hochdorfer Breitwiesenhalle aus seinem Mund zu hören, ist angesichts dessen, was er in seiner Heimat erlebt hat, bewundernswert. Mehr als 100 Menschen aus seiner Familie sind umgebracht worden. Von den ersten 54 Toten, darunter sein Vater, sein jüngerer Bruder, Onkel und Tanten erfuhr er 1972 durch einen Brief des Pfarrers, für den sein Vater als Pfarrsekretär arbeitete, als er in Rom studierte. Eine Rückreise war ihm nicht möglich. In Rom wurde er 1974 zum Priester geweiht, zurück nach Burundi konnte er erst zwei Jahre später: „Ich fand Burundi zerfetzt vor. Als ich zurückkam, konnte ich kaum noch Menschlichkeit erkennen“, erinnert sich Simon Ntamwana. „Die Angehörigen durften ihre Toten nicht begraben, niemand durfte trauern. So wurden die Überlebenden zu lebendigen Gräbern.“ Trotz dieser Gräueltaten steht die Arbeit des Erzbischofs im Zeichen der Versöhnung. In Burundi hat er ein Hilfswerk gegründet, in dem heute Opfer und Täter des Völkermords arbeiten. Zum einen, um den eigenen Schmerz der Vergangenheit zu überwinden, und gleichermaßen, um anderen dabei zu helfen, das ebenfalls zu schaffen.

Autorin reiste nach Burundi

Um die Lebensgeschichten von Erzbischof Simon Ntamwana und elf seiner Mitarbeiter zu erzählen, ist Autorin Angela Krumpen 2016 nach Ruanda gereist, um sich mit der Gruppe in der Hauptstadt Kigali zu treffen. Von Reisen nach Burundi warnte das Auswärtige Amt. Zu gefährlich, zu viel Gewalt. Das hat sich bis heute nicht verändert: „Die Sicherheitslage in Burundi ist aufgrund der instabilen innenpolitischen, wirtschaftlichen und kritischen menschenrechtlichen Lage unübersichtlich und angespannt“, heißt es dazu in den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen. „Es ist eine Lage, die keinen Frieden verspricht“, beschreibt Erzbischof Simon Ntamwana die derzeitige Situation in seiner Heimat, in die er bald zurückkehrt. Auch wenn er dort in ständiger Gefahr lebt, bereits mehrere Attentate überlebt hat. Wegzugehen kommt für ihn nicht infrage: „Wenn ich sterben soll, dann sterbe ich. Aber solange ich lebe, kämpfe ich dafür, dass die Herzen der Menschen weniger schmerzen, dass die Menschen ein neues Leben bekommen. Der einzige Weg dorthin ist die Versöhnung“, sagt Simon Ntamwana. Jede der Biografien im Buch, der Umgang der Menschen mit dem Leid, ist mehr als beeindruckend. Da ist etwa Adèle, eine Tutsi, die 1993 mit eingeschlagenem Kopf und fast abgetrenntem Arm in einem Massengrab zurückgelassen wurde. Ihr Baby wurde vor ihren Augen Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Sie kannte die Mörder, darunter waren Nachbarn und Eltern der Kinder, die sie unterrichtet hatte.

„Oft spricht man wegen kleineren Verletzungen Jahre nicht mehr miteinander. Doch: Wenn es Menschen schaffen, Völkermord zu vergeben - was soll es dann noch geben, was nicht vergeben werden kann?“, fragt Angela Krumpen und regt damit zum Nachdenken an. „Wie funktioniert das, dass das eigene Herz nicht verwildert?“, will die Autorin vom Erzbischof wissen: „Indem das Opfer im Versöhnungsprozess den ersten Schritt macht“, sagt dieser. Das Opfer? Nicht der Täter, der das ganze Leid verursacht hat? Nein, sagt Simon Ntamwana, „als Opfer haben wir eine gewisse Unschuld, wir tragen zwar die Folgen der Tat, der Täter aber trägt die Schuld, die Verantwortung. Durch die Schuld verliert er sein Gesicht, das ist viel gravierender. Daher können wir als Opfer eher den ersten Schritt machen.“ Er weiß, wovon er spricht, er selbst hat dem Mörder seines Vaters mit großer Mühe die Versöhnung angeboten. Katja Eisenhardt