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Im Pub mit einem Superstar

In Nina Gerstenbergers neuem Film verkörpert „Hobbit“-Darsteller Martin Freeman Sänger Steve Marriott

Im Pub mit einem Superstar
Im Pub mit einem Superstar

Kirchheim/Stalybridge. An einem Apriltag steht Nina Gerstenberger in einem Pub in Ost-London und muss sich immer wieder kneifen. Vor ihr steht ein Schauspieler und spricht

die Zeilen, die sie selbst auf Papier gebracht hat. Für die junge Filmemacherin ist dieser Moment beinahe zu schön, um wahr zu sein. „Zu sehen, dass nach so vielen Jahren harter Arbeit ein Drehbuch von mir verfilmt wird, war eine unglaublich tolle und bewegende Erfahrung“, sagt Nina Gerstenberger. Herausgekommen ist ein Kurzfilm über die Mod-Ikone Großbritanniens: Steve Marriott, erfolgreich mit den „Small Faces“ und „Humble Pie“.

Der Schauspieler, der den legendären weißen Soul-Sänger zum Leben erweckt, ist kein Unbekannter. Es ist Martin Freeman, der Hauptdarsteller der „Hobbit“-Trilogie. Ein Superstar, der selbst Mod ist und Steve Marriott vergöttert. „Martin Freeman war von Anfang an meine Wunschbesetzung, ich habe ihn immer in der Rolle gesehen“, sagt Nina Gerstenberger.

Eins kam zum anderen: Die Drehbuchautorin und ihre Produzenten-Kollegin Hatty Hodgson zogen als Regisseur Phil Davis an Land, der in „Quadrophenia“ mitgespielt hat. Davis wiederum kannte Martin Freeman, der ihm noch einen Gefallen schuldete. Viel Überredungskunst war nicht nötig: Einmal den „Small Faces“-Frontman zu verkörpern, war für den „Hobbit“-Darsteller eine Angelegenheit des Herzens. „Martin Freeman hat mir beim Dreh gesagt, dass er immer davon geträumt hat, Steve Marriott zu spielen“, freut sich Nina Gerstenberger.

Der Kurzfilm greift einen Tag im Leben des älteren Steve Marriott auf, der seine größten Erfolge schon hinter sich hat. „Wir zeigen ihn, wie er in einem Ost-Londoner Pub vor ein paar Dutzend Leuten spielt, während gleichzeitig das Live-Aid-Konzert stattfindet – und zwar ohne ihn“, sagt Nina Gerstenberger. Alle Kollegen hätten dort mitgespielt, nur Marriott nicht. „Wir wollen zeigen, wie er sich gefühlt hat angesichts der Tatsache, dass er diese Anerkennung nicht bekommen hat“. Steve Marriott wurde nicht alt: Er starb im Alter von 44 Jahren an den Folgen eines Schwelbrands, verursacht durch eine brennende Zigarette.

Dass Nina Gerstenberger ein Drehbuch über Steve Marriott geschrieben hat, ist kein Zufall. „Ich bin seit Teenager-Tagen riesiger Fan seiner Musik“, sagt sie. Die gebürtige Kirchheimerin, die an der London Film School studiert hat, wollte ursprünglich ein Spielfilmdrehbuch über Steve Marriott schreiben. Allerdings hakte es an der Finanzierung. „Meine Produzentin Hatty Hodgson hat vorgeschlagen, dass es wegen der Finanzierung realistischer ist, zuerst einen Kurzfilm zu machen“, sagt Gerstenberger. Weil alle Anträge auf Filmfördermittel erfolglos blieben, riefen die beiden über „Crowd­funding“ dazu auf, für den Film zu spenden. Mit Erfolg: „Wir hätten 12 000 Pfund gebraucht und haben 15 500 zusammenbekommen“.

Der Dreh fand an zwei Tagen in Ost-London statt, mit einer 40 Mann starken Crew. „Es war nicht das Pub, in dem Steve Marriott 1985 gespielt hat, aber ein altes englisches Pub mit lauter Londoner Originalen, die als Komparsen mitgewirkt haben. Die haben das gemacht, was sie immer tun: Am Tresen stehen und Bier trinken“, lacht Nina Gerstenberger. Auch sie selbst hatte eine kleine Komparsenrolle.

Am 5. September ist in London die inoffizielle Premiere für Cast und Crew. „Unser Ziel ist es, dass die offizielle Premiere beim London Film Festival stattfindet“, sagt Nina Gerstenberger. Es sei allerdings sehr schwer, ins Programm aufgenommen werden. Doch sie und ihre Produzentin Hatty Hodgson hoffen, dass die Bewerbung erfolgreich ist und sie das Festival als Karrieresprungbrett für weitere Projekte nutzen können. In jedem Fall wird Nina Gerstenberger die Entstehung ihres ersten richtigen Films in guter Erinnerung behalten. „Es war die beste Erfahrung meines Lebens“.

Die 33-jährige Nina Gerstenberger, gebürtige Kirchheimerin, wanderte im Jahr 2003 nach Großbritannien aus. Stationen waren Cardiff und London. Aktuell lebt sie in Stalybridge bei Manchester. Seit ihrem Studium an der London Film School arbeitet Gerstenberger als Filmemacherin. Bisher entstanden die Dokumentationen „We are the mods“, „Geflügelter Protest“ sowie verschiedene Musikvideos. Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite www.liveforeverproductions.co.uk.

Wer oder was sind Mods?

Subkultur. Die Mod-Kultur entstand in England Ende der Fünfziger- und Anfang der Sechzigerjahre. Inspiriert von schwarzer Jazz- und Soulmusik, wollten die Jugendlichen aus der Arbeiterklasse sich damals von ihrer konservativen Elterngeneration, aber auch von anderen Jugendkulturen wie den Rockern, eindeutig und klar distanzieren. Stil. Mods kleiden sich edel und stilvoll, mit Vorliebe tragen sie italienische Designermode. Eine Vespa oder Lambretta vollendet den perfekten Look. Musik. Populäre Mod-Bands sind the Who und Small Faces in den Sechzigerjahren. Ende der Siebzigerjahre erlebte die Kultur dank The Jam und dem Film Quadrophenia ein Revival. Die Bewegung hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren und lebt als internationale Subkultur weiter.ng