Weilheim · Lenningen · Umland

Im Rausch der Gefühle

Natur In den kalten Monaten ist bei Wildschweinen Paarungszeit, und Liebe macht bekanntlich blind. Die ansonsten scheuen und schlauen Tiere können in dieser Zeit auch für Menschen zur Gefahr werden. Von Katharina Daiss

Paarungszeit bei Wildschweinen
Wildschweine an der Ochsenwanger Steige. Foto: Dieter Ruoff

Während in den Wohnzimmern der Ofen knistert und die Menschen die lauschige Wärme am Kamin genießen, lassen die Wildschweine ordentlich die Sau raus. Denn in den kalten Monaten erreicht die Paarungszeit der borstigen Waldbewohner ihren Höhepunkt. In dieser sogenannten Rauschzeit sind die Keiler auf Brautschau. Und für die Herzensdame zieht das männliche Wildschwein sogar in den Kampf: Lässt sich ein Konkurrent nicht verscheuchen, kommt es zu wahren Keilereien. Bei diesen Rauschzeitkämpfen schlagen die zum Teil über 100 Kilo schweren Tiere ihre langen Eckzähne in die Seite des Gegners. Um sie für diesen Ernstfall zu schärfen, wetzen die wehrhaften Burschen die unteren Eckzähne an den oberen, bis sie messerscharf geschliffen sind. Diese erbitterten Kämpfe klären die Rangordnung.

Nur der Sieger darf um seine Auserwählte werben, denn auch Bachen wollen erobert werden. Grunzend lockt der raue Junggeselle seine Herzensdame an, massiert sie mit der Schnauze, beißt ihr in den Nacken - und macht sich nach der Paarung aus dem Staub.

Paarungszeit bei Wildschweinen
Symbolbild: Erich Marek

Drei Monate, drei Wochen und drei Tage ist die Bache trächtig, besagt die Faustregel. Kurz vor der Niederkunft sondert sich die Bache von ihren Artgenossen ab und baut den Wurfkessel. Das ist ein Nest aus Gräsern und Ästen, um ihre Frischlinge vor Kälte und Nässe zu schützen. Nach etwa zwei Wochen können die gestreiften Winzlinge laufen und kehren mit ihrer Mutter zur Rotte zurück, die aus der Leitbache und mehreren Generationen ihrer Nachkommen besteht. Männliche Frischlinge müssen ihre Mutter nach einem Jahr verlassen. Ihre Schwestern hingegen dürfen in der Rotte bleiben, so lange sie wollen. „Wildschweine sind sehr familiär. Sie sind nicht nur neugierig und wahnsinnig schlau, sondern auch sehr gesellig und verspielt“, erklärt der Berufsjäger Alwin Schnabel und berichtet, dass der Familiensinn sogar über den eigenen Nachwuchs hinausgeht: „Ver­waiste Frischlinge können von anderen Bachen angenommen werden.“ Diese sogenannte Ammensau kann aus der eigenen Rotte kommen oder eine fremde Bache sein. Nach ein paar Monaten verlieren die Frischlinge ihre Streifen und werden nicht mehr gesäugt.

Obwohl Wildschweine einen echten Saumagen haben und selbst vor einem verstorbenen Artgenossen als Mahlzeit nicht zurückschrecken, sind sie wahre Feinschmecker. Zu ihren Leibspeisen zählen, neben Würmern und anderen Erdbewohnern, die Feldfrüchte. Vor allem Mais und Raps haben es dem Borstenvieh angetan. Alwin Schnabel kennt den wählerischen Geschmack der Wildschweine: „Auf einem Feld wurden mehrere Arten Mais in Versuchsreihen angepflanzt. Nachdem die Schweine drin waren, war eine Reihe komplett abgefressen. Die andere haben sie nicht mal berührt, die scheint wohl nicht so gut geschmeckt zu haben.“

Doch auf ihrer Suche nach dem schmackhaftesten Futter drehen die anpassungsfähigen Allesfresser ganze Wiesen nach eiweißhaltiger Kost um oder bedienen sich an Mais- und Rapsfeldern. Hier stehen die Jäger in der Pflicht, den Schaden durch gezielte Jagdmaßnahmen einzudämmen. Die Waidmänner- und frauen bejagen die Wildschweine vorrangig an Äckern und Wiesen und schonen sie im Wald, wo sie statt Feldfrüchten gerne Eicheln und Bucheckern vertilgen.

Alwin Schnabel berichtet, dass der Bestand an Wildschweinen, begünstigt durch veränderte Umweltbedingungen und Landwirtschaft, stetig zunimmt. Er beobachtet jedoch besorgt die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest. Der für alle Schweine hoch gefährliche Virus ist momentan in Deutschland noch kein Problem, aber die Krankheit breitet sich in Europa aus. Doch noch geht es den Wildschweinen hier sehr gut.

Wilde Begegnungen

Für Keiler gibt es während der Rauschzeit kein Halten mehr.
Für Keiler gibt es während der Rauschzeit kein Halten mehr.

Hin und wieder treffen Waldbesucher auf die geheimnisvollen Waldbewohner, doch „eigentlich sollte man sich über die seltene Begegnung einfach nur freuen“, sagt Alwin Schnabel. Dennoch rät er, Hunde anzuleinen und langsam den Rücktritt anzutreten, denn Wildschweine sind schnell, wendig und wehrhaft. „Keiler können mit ihren scharfen Eckzähnen, dem Gewaff, nach Menschen schlagen, Bachen beißen eher“, warnt der Jäger und beruhigt, dass sie meist nur zum Schein angreifen. Trifft man auf ein Schwein, dem es augenscheinlich nicht gut geht oder auf einen Kadaver, sollte man das unbedingt dem Jagdpächter oder der Polizei melden.

Für Autofahrer gilt gerade in der Rauschzeit, immer bremsbereit zu sein, um Wildunfälle zu vermeiden. Bei Sichtkontakt sollte zudem das Fernlicht ausgeschaltet und gehupt werden. Ist ein Zusammenstoß nicht mehr vermeidbar, sollte man als Fahrer in keinem Falle ausweichen, da die Gefahr, bei so einem Manöver in den Gegenverkehr zu geraten oder an einem Baum zu landen, in der Regel höher ist als der Zusammenstoß mit dem Wild. Deshalb in so einem Fall: Stark abbremsen und das Lenkrad dabei gut festhalten.kd