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„In den Wirtshäusern ist ein Stück Heimat verankert“

Anekdotenabend Karl Oesterle und Rudi Dölfel haben den Nerv der Dettinger getroffen. Sie ließen die Gasthausgeschichte des Orts wieder aufleben. Von Iris Häfner

Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel
Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel. Foto: Jean-Luc Jacques
Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel
Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel. Foto: Jean-Luc Jacques

Das Interesse ist riesig gewesen, der Vereinsraum der Dettinger Landfrauen im historischen Bahnhofsgebäude schien aus allen Nähten zu platzen. Die zahlreichen Gäste interessierten sich brennend dafür, was Karl Oesterle und Rudi Dölfel über die Dettinger Gasthausgeschichte wissen - und welche unbekannten Anekdoten insbesondere Karl Oesterle zum Besten geben würde. Das Duo hatte bereits vor zehn Jahren das Buch „Dettinger Gasthausgeschichte - Von anno dazumal bis heute“ zusammengestellt. An diesem Abend standen 17 Gasthäuser im Fokus.

Der Vereinsraum der Landfrauen erinnerte deshalb nicht von ungefähr an den Saal einer schwäbischen Wirtschaft. An zwei langen Tischreihen konnten die Gäste Platz nehmen und sich ein üppiges Vesper schmecken lassen. Mitveranstalter war auch der Geschichtsverein Dettingen. „Die Geschichte der Gasthäuser hat viel mit Heimat zu tun - in ihnen ist ein großes Stück Heimat verankert. In gewisser Weise ist das Buch auch ein Vermächtnis“, sagte Rudi Dölfel. Ihm und Karl Oesterle ist es ein großes Bedürfnis, die Erinnerung daran wachzuhalten. Sie konnten sich vor Anfragen für den Vortragsabend nicht retten, viele sind auf der Warteliste gelandet.

Gasthof " Zur Teck" (beim "Froscha-Bäck") - Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit
Gasthof " Zur Teck" (beim "Froscha-Bäck") - Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel. Foto: pr

Vor rund zehn Jahren hatten Karl Oesterle und Rudi Dölfel den richtigen Riecher, die Wirtshaustradition zu dokumentieren. „Wir sehen ja, wie ausgedünnt die Gasthauslandschaft bei uns jetzt ist“, sagte Rudi Dölfel. „Traurig, wie es jetzt ist“, sagte ein Gast. Mit Klinkenputzen fing die Recherche an. Ein halbes Jahr waren die beiden im Flecken unterwegs, um alte Bilder und Geschichten zu sammeln. Historische Fotos sind in Dettingen Mangelware, denn beim Bombenangriff am 20. April 1945 wurde viele Häuser zerstört und viele Dokumente vernichtet. Den Gesprächen mit Zeitzeugen kam deshalb große Bedeutung zu, von denen zwischenzeitlich einige verstorben sind.

„Unser Buch erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Wir wollten einfach nur die Dettinger Gasthausgeschichte vor dem Vergessen bewahren“, stellte Rudi Dölfel klar und nahm seine Zuhörer auf eine Zeitreise mit: „Wenn Sie jetzt kurz die Augen schließen und zurückdenken, als die Spatzen an sommerheißen Tagen im Straßenkandel ein Staubbad nahmen, können Sie das Gefühl für die Zeit vor 100 Jahren aufnehmen, als alles noch ruhiger und beschaulicher voranging. Dettingen war ein Dorf mit ausgeprägter Landwirtschaft. Schwer beladene Heuwagen mit Kuhgespannen zogen durchs Dorf. Abends, wenn die Feldarbeit ruhte, die Frauen mit der Hausarbeit beschäftigt waren, zog es die Männer in die Gastwirtschaften.“ Aus Männersicht war früher halt doch alles besser - diese Botschaft aus dem Publikum kam bei den Referenten an.

Rentnerkonferenz 1981 - Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Ru
Rentnerkonferenz 1981 - Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel. Foto: pr

Die eröffneten den Reigen mit der „Krone“. Bäckermeister Fritz Kiedaisch und seine Frau Frieda führten bereits 1900 in der Kirchheimer Straße eine Bäckerei mit Gastwirtschaft. Auch dieses Gebäude fiel den Bomben zum Opfer, wurde aber wieder aufgebaut und fungierte zeitweise als Vereinslokal der Dettinger Fußballer. In der Waschküche haben sich die Spieler gewaschen und umgezogen, als sie vom Sportplatz kamen. Selbstredend, dass dort 1954 das Endspiel der Fußball-Weltmeis­terschaft 1954 zu sehen war. „Dieses Gasthaus hatte auch den Beinamen ,Kleines Rathaus‘. Dort wurde die Gemeindepolitik besprochen - ohne Amtspersonen“, fügte Karl Oesterle an.

„Ach, mei Großvaddr“, entfuhr es einer Zuhörerin, als ein altes Foto vom „Waldhorn“ auf der Leinwand zu sehen war. Ein Mann mit langer weißer Schürze lehnt am Bachgeländer vor dem Haus. Die Gartenwirtschaft samt Metzgerei stand in der „Stelle“. 1907 hatten der Metzgermeister Johannes Lehman aus dem Schwarzwaldort Bösingen und seine Frau Katharina das Anwesen gekauft. 56 Jahre lang war es im Besitz der Familie. „Das war eine kleine, gemütliche Wirtschaft. Beide Berger-Chefs waren dort Stammgäs­te“, wusste Karl Oes­terle.

Nach dem Krieg wurden für die vielen Heimatvertriebenen Grundstücke auf dem Guckenrain erschlossen. Immanuel und Maria Schramm eröffneten im Lerchenweg 1953 das „Siedlerstüble“, in dem auch „alte“ Dettinger willkommen waren. „Dort gab es die bes­ten Geckala im ganzen Umkreis“, schwärmte Karl Oes­terle und erzählte, wie die „liebe Frau“ bei entsprechendem Alkoholpegel ihrer Gäs­te recht energisch werden konnte: Sie machte das Licht aus, forderte zum Zahlen und dann zum Gehen auf. „Sie hatte auch einen Teppichklopfer parat“, sagte Karl Oes­terle.

Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel
Bahnhof Dettingen - Geschichtsverein und Landfrauenverein - Gasthausgeschichten mit Karl Oesterle und Rudi Dölfel. Foto: Jean-Luc Jacques

Der Unterschied zwischen einer Gassenwirtschaft und einer Schildwirtschaft interessierte einen Zuhörer. „In Gassenwirtschaften gab es nur Getränke. Diese Gasthäuser sorgten für einen zusätzlichen Broterwerb, beispielsweise für Metzger oder Bäcker. Ihr Ursprung reicht weit ins Mittelalter zurück“, erklärte Rudi Dölfel. In den Schildwirtschaften konnte auch gegessen und übernachtet werden, vergleichbar mit heutigen Raststätten. Die Schildwirtschaften standen entlang beliebter Fuhrwege. „Der Weg auf die Alb war lang. Die ,Linde‘ in Dettingen war die erste Station nach Kirchheim, wo man auf dem Markt seinen Geschäften nachging. Da sind die ersten schon versackt. So ging es Stück für Stück mit den Wirtschaften talaufwärts weiter - ich weiß nicht, wann die auf der Alb angekommen sind“, konnte ein Zuhörer am Ende des Abends einfügen.

 

Info Der Zusatztermin wurde während der Veranstaltung spontan festgelegt. Wer keine Karten für den Abend bekommen hat, sollte sich den Donnerstag, 8. Oktober, vormerken.