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Inklusion funktioniert auch zu Hause

Schule Trotz Fernunterricht sind die Schulbegleiter da: Einige kommen nach Hause, andere gehen mit in die Notbetreuung. Für Begleitung im nächsten Schuljahr sollte man jetzt schon den Antrag stellen. Von Julia Nemetschek-Renz

Schulbegleiter sind in Corona-Zeiten besonders wichtig
Das Kind in die Klassengemeinschaft zu bringen, ist zentrale Aufgabe der Schulbegleiter. Foto: David Maurer

Alle Förderschulen im Landkreis Esslingen sind in diesem zweiten Lockdown offen geblieben: Das ist ein Segen für viele Familien mit einem Kind mit Behinderung. Doch wie geht es den inklusiv beschulten Kindern an den Regelschulen? Oder den Kindern, die normalerweise mit Schulbegleitung in den Unterricht gehen? Das sind Kinder mit Seh- oder Hörproblemen, einer seelischen Behinderung, ADHS oder Autismus. Sie alle sind jetzt im Fernunterricht. Wie steht es in diesen Fällen um die Inklusion?

„Ab morgen kommt ­unsere Schulbegleiterin wieder nach Hause“, erzählt Christine Salcone-­Sommer. Ihre zehnjährige ­Tochter Leni hat eine Hörbehinderung. Ein paar Tage hat die ­Mutter Home­office und Heimunterricht geschafft, jetzt freut sie sich auf Unterstützung. Sie wusste aus dem letzten Lockdown, dass sie sich diese Unterstützung holen darf. Doch viele Eltern kennen ihre Möglichkeiten nicht so gut, manchmal kommen noch Sprachbarrieren hinzu.

Möglichkeiten sind zahlreich

Anja Hof (Name von der Redaktion geändert) weiß ganz genau, woran Inklusion in der Pandemie scheitern kann. Sie betreut nun schon ihr drittes Kind als Schulbegleiterin, einen Jungen in der ersten Klasse einer Grundschule auf den Fildern. Er kommt aus einer großen Familie mit türkischen Wurzeln. Normalerweise geht sie jeden Tag mit ihm zur Schule. Die Eltern wollten erst keine Schulbegleitung, die Verwandtschaft weiß noch immer nichts von ihr und denkt, sie sei eine Grundschullehrerin. „Stolz und Scham spielen eine große Rolle bei diesem Thema“, sagt Anja Hof. „Niemand möchte, dass das Kind in einer Schublade steckt“, erzählt sie. Doch die Möglichkeiten einer Schulbegleitung seien riesig. Gerade Kinder mit seelischen Behinderungen sprächen eine andere Sprache als andere Kinder. „Sie wollen Nähe zum Beispiel über Körperkontakt herstellen, doch bei anderen Kindern kommt Schubsen natürlich komplett anders an.“ Dann ist sie da, bezieht die anderen Kinder ins Spiel ein, erklärt, vermittelt. Das Schönste für sie sei es immer, wenn ihr Kind Freunde findet. Dann hat sie ihr Ziel erreicht. Und das schafft sie nur, wenn sie das Vertrauen der Eltern gewinnt. Einige Male hat sie jetzt im Lockdown die Eltern des Jungen angerufen und ihre Hilfe angeboten und an der Grundschule die Notbetreuung organisiert. Die Eltern wussten gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt. Doch die Familie zögert. Es ist auch eine Frage des Stolzes, sich helfen zu lassen.

Bewerbungen bleiben liegen

„Die Eltern greifen das Thema Schulbegleitung oft zu spät auf“, sagt auch Renate Baiker, Bereichsleiterin Offene Hilfen der Lebenshilfe Kirchheim. Denn der Antrag braucht Zeit. Bis alle Gutachten da sind, können Monate vergehen. Wer fürs nächste Schuljahr noch eine Schulbegleitung braucht, könne sich schon jetzt an die Fachstelle Schulbegleitung in Kirchheim wenden, erklärt sie.

Denn Corona bremst die Träger zusätzlich: „Wir haben 16 Kinder bei uns auf der Warteliste, die dringend eine Schulbegleitung brauchen“, erzählt ­Barbara ­Rochlitzer von der Stiftung Jugendhilfe aktiv in Esslingen. Doch die Bewerbungen von Schulbegleitern muss sie liegen lassen. „Bei geschlossenen Schulen kann ich niemanden einstellen.“

Schulbegleiterin Anja Hof will morgen noch mal bei der Familie ihres Erstklässlers anrufen. Sie konnte die Eltern überzeugen, den Jungen in die Notbetreuung zu lassen, wenn die Schulen länger als eine Woche geschlossen bleiben. Und das werden sie ja nun.