Im November wurde Irme Stetter-Karp zur Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gewählt, sie ist also jetzt die bedeutendste Stimme der katholischen Basis. Im Gespräch verrät sie ihre Prioritäten, aber auch etwas über sich selbst.
Arbeiten Sie viel im Homeoffice von Göppingen aus?
Ich habe schon das ganze Jahr über mein anderes Präsidentinnenamt beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge statt von Berlin von Göppingen aus geführt. Ich bin derzeit längst nicht so viel unterwegs, wie ich es mein ganzes Berufsleben lang war. Das wird sich aber wieder ändern, sobald die Pandemie hoffentlich bewältigt ist.
Was sehen Sie, wenn Sie vom heimischen Arbeitszimmer aus dem Fenster schauen?
Die Alb! Die Teck!
Welche Verankerung haben Sie hier?
Ich lebe seit 1981 hier, bin meinem Mann hierher nachgefolgt.
Wie tanken Sie Kraft?
Die Natur liegt mir sehr am Herzen, der Sport auch. Und ich koche wahnsinnig gerne. Das liegt vielleicht daran, dass ich früher wegen meines Berufs werktags nicht ausgiebig dazu kam. Ich war ja vor den Kindern schon in Personalunion beim BDKJ und im Bischöflichen Jugendamt der Diözesen, bin dann 1996 wieder voll in den Beruf eingestiegen. Jetzt habe ich das kreative Kochen wieder entdeckt. Ich arbeite viel mit Kräutern, manchmal hab ich schon gesagt, ich könnte auch Kräuterweible werden.
Sie könnten mit 65 Ihren Ruhestand genießen. Stattdessen wagen Sie ein großes Amt in komplizierten Zeiten. Woher die Energie?
Ich kann nur antworten: S ie ist mir geschenkt. Ich nehme mir die Energie gar nicht, ich erlebe sie.
Sie sind in einer Landwirts- und Gastwirtsfamilie in Rainau bei Ellwangen aufgewachsen, als jüngstes Kind in einer großen Familie. Lernt man da das Verzichten?
Ich bin 1956 geboren, die 60er waren Wirtschaftswunderjahre. Also war es eher ein Verzichten im Sinne von Teilen lernen, aber das musste wahrscheinlich jedes Kind in einer großen Familie. Ich hatte beispielsweise nie ein eigenes Zimmer. Aber das war nichts Besonderes. Ich würde also nicht sagen, dass ich besonders verzichten musste, ich hatte eine bunte, reiche Kindheit mit viel Freiheit.
Sie vertreten die engagierten Laien in der katholischen Kirche, also die Basis. Spüren Sie die hohen Erwartungen, dass der Reformprozess jetzt Fahrt aufnimmt?
Den spüre ich natürlich. Wir sind ja im Kommunikationsprozess des Synodalen Wegs schon fortgeschritten. Das Thema begleitet mich aber eigentlich schon mein ganzes Berufsleben lang. Der Reformstau reicht weit zurück. Und seither kenne ich die Spannung zwischen denen, die in der Kirche Öffnungen suchen, und jenen, die es lassen wollen.
Ganz weit oben steht die Unzufriedenheit mit der Rolle der Frauen, der Wunsch nach Öffnung der Weiheämter. Wie wollen Sie da ansetzen?
Ich bin ja nicht allein, ich spüre auch starken Rückenwind. Es wäre aber sicher eine Illusion zu denken, wiewohl dringend notwendig, die katholische Kirche in Deutschland würde mit einem Schritt das Weiheamt öffnen, weil wir uns weltkirchlich in einer gewissen Taktung mitbewegen müssen.
Es gibt Widerstand.
Ja natürlich. Ich scheue mich aber nicht zu sagen, dass ich noch nie verstanden habe, warum per Geburt der Zugang für Frauen zum Weiheamt nicht möglich sein soll, egal ob Diakonin oder Priesterin. Ich bin keine Theologin. Aber ich sehe, wie viele Frauen Berufunge n spüren und auch bestens geeignet sind. Und wenn ich sehe, dass es in den Gemeinden immer weniger Priester gibt, muss ich sagen: Da fällt meine Kirche aus der Zeit.
Sie haben nach der Wahl gesagt, es gehe darum, Bündnispartner zu suchen. Welche?
Das habe ich nicht im Kontext von kirchenpolitischen Themen benannt, sondern bei gesellschaftspolitischen Fragen. Ich war sehr lange in der Caritas tätig, da liegt es auf der Hand, dass ich mich sehr stark für die Frage einsetze, was wir denn zu gesellschaftspolitischen Themen beitragen können, im Sinne einer dienenden oder diakonischen Kirche. Das ist meine Priorität und mein Profil. Ich will, dass wir etwas geben können und nicht nur fordern.
Sie positionieren sich im Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Solidarität?
Es ist natürlich immer wieder ein Balanceakt. Das Leben ist nicht schwarz oder weiß, da braucht es auch Differenzierung. Ich glaube schon, dass moderne Menschen zu Recht einen Anspruch formulieren auf Selbstbestimmung. So weit, so gut. Wenn aber das Leben anderer gefährdet wird, geht es auch um Mitverantwortung und Mitsorge.
Die Mitglieder laufen der Kirche davon. Was wiegt schwerer: die Gleichgültigkeit, die der Kirche entgegenschlägt oder die Wut über Dinge wie die Missbrauchsfälle?
Das kommt beides zusammen. Und so kommt die Dynamik zustande mit horrenden Austrittszahlen. Insofern, glaube ich, sind die Lösungen auch nicht einfach. Bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs gibt es erste sinnvolle Schritte. In der Prävention wurde viel getan. Aber das reicht nicht. Ich bin seit 13 Jahren mit der Aufarbeitung der Heimerziehung der 1950er- und 1960er-Jahre befasst. Die Heimkinder haben zu einem Drittel auch sexuelle Gewalt erlebt. Mit dieser Erfahrung sage ich, das ist ein anstrengendes Thema, das an die Nieren geht, aber es ist unausweichlich, sich dem zu stellen. Da hat die Kirche eine besondere Verantwortung und besonders versagt, weil sie einen anderen Anspruch deklariert. Und es gibt neben dem Vertrauensverlust durch sexuelle Gewalt noch andere Probleme, etwa die intransparenten Machtverhältnisse.
Welche Themen der Gesellschaft brennen Ihnen noch auf den Nägeln?
Es geht auch um die Frage, ob die Kirche die Lebenswirklichkeit der Menschen noch abbildet, beispielsweise bei der Sexualmoral, verbunden mit Fragen zum Schwangerschaftskonflikt oder Kinderschutz. Gesellschaftspolitisch ist mir auch das wichtig: die konsequente Eindämmung der Klimakrise, die Förderung der Demokratie und der Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Reichen die vier Jahre Ihrer Amtszeit, um etwas zu bewegen?
Es wäre verwegen und naiv, zu sagen, dass man antritt und dann ist alles anders. Es sind im besten Fall Prozesse und Öffnungen. Die Richtung und die Strategie müssen stimmen. Dann braucht man Mehrheiten und Weggefährten. Rückenwind spüre ich jedenfalls sehr für diese Themen. Und dann wird man sehen, was geht.
Das Leben von Irme Stetter-Karp
Herkunft: Irme Stetter-Karp wurde 1956 in Ellwangen geboren und wuchs in einer großen Familie in Rainau auf.
Studium: Sie studierte in Esslingen und Tübingen mit Abschlüssen als Diplom-Siozialarbeiterin und Diplom-Pädagogin. 1997 promovierte sie.
Beruf: Ab 1981 war sie in der Altenarbeit, dann in verschiedenen Führungspositionen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig, in der Jugendverbandsarbeit des BDKJ, als Leiterin des Diözesanbildungswerks und seit 20 Jahren in der Caritas, zuletzt als Ordinariatsrätin und Leiterin der Hauptabteilung Caritas. Sie ist in den Kommunikationsprozess „Synodaler Weg“ eingebunden.
Privates: Sie lebt mit ihrem Mann im Süden Göppingens. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. nwz