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Ist das „Häusle“ noch zeitgemäß?

Bundestagswahl Für den Kirchheimer Kandidaten der Linken, Heinrich Brinker, sind zwei Themen zukunftsentscheidend: Frieden und soziale Gerechtigkeit. Im Interesse dieser Ziele hofft er für seine Partei auf ein zweistelliges Ergebnis. Von Irene Strifler und Frank Hoffmann

Interviewtermin mit Brinker Linke Weitblick
Heinrich Brinker
Interviewtermin mit Brinker Linke Weitblick
Heinrich Brinker

Vom großen „Fernsehduell“ hat sich Heinrich Brinker, wie viele andere auch, mehr versprochen. Nach Einschätzung des Kandidaten der Linken im Wahlkreis hat Herausforderer Martin Schulz eine Riesenchance verspielt, indem er das Thema Rente nicht vertiefte. Doch das ist nach Brinkers Einschätzung nicht die einzige vertane Chance der Sozialdemokraten: „Wir hätten eine Entwicklung zu mehr sozialer Gerechtigkeit hinbekommen, wenn SPD, Grüne und Linke gemeinsam eine Kampagne gestartet und an einem Strang gezogen hätten“, bedauert er. Doch vielleicht gab es für andere zu viel zu verlieren: „Keiner kam aus der Deckung“, bedauert der Kirchheimer. Er sagt dies nicht frustriert, sondern mit dem Kampfgeist, den man wohl haben muss, wenn man ohne Listenplatz mitten im nicht gerade linksorientierten Schwabenländle linke Politik macht. Ihm geht es jetzt um eine starke Opposition: „Die Linke muss drittstärkste Partei werden.“ Zuversicht schöpft er aus Gesprächen vor Ort und glaubt, dass die Linke um die zehn Prozent einfährt. Ein Verdienst, das er einerseits den linken Themen, vor allem aber den Zugpferden Sarah Wagenknecht und Bernd Riexinger zuschreibt. Was ihn kolossal nervt, ist die Tatsache, dass die Linke mitunter als extreme Partei mit der AfD in einem Atemzug genannt wird - von Menschen, denen rechts und links gleichermaßen verdächtig sei, wie Brinker anmerkt. Dabei gebe es für seine Mitstreiter sogar ein Alleinstellungsmerkmal: „Es gibt keine verlässlichere Partei als die Linke.“

Quelle: Carsten Riedl

Klare Kante zeigt die Linke schon immer im Bereich der Friedenspolitik: Auslandseinsätze der Bundeswehr sind für sie tabu. „Wenn die Bundeswehr einmal irgendwo war, dann ist immer ein dauerhafter Einsatz draus geworden“, sagt Brinker und weist diesen Einsätzen sogar einen destabilisierenden Effekt zu. Zwei Prozent des Bruttosozialprodukts in Rüstung zu investieren, hält er für komplett verfehlt: „Wie wollen wir da die Kurve kriegen zu einer Entspannungspolitik?“ Heute seien vertrauensbildende Maßnahmen mindestens so wichtig wie zu Zeiten Willy Brandts. Die Provokation Nordkoreas durch Manöver der USA, Japans und Südkoreas sowie die militärische Antwort von Diktator Kim Jong-un zeigten eine gefährliche Spirale der Gewalt, die beileibe nicht nur ein entferntes Problem auf der anderen Seite der Welt darstelle: „Wie verhält sich China, wie Russland?“, fragt Brinker.

Interviewtermin mit Brinker Linke Weitblick
Heinrich Brinker

Während die Friedenspolitik der Linken in der Bevölkerung im Wahlkampf nur wenig wahrgenommen wird, trifft die Sozialpolitik des öfteren den Nerv der Zeit. Eine Reihe der Ansinnen, etwa die Förderung finanziell schlecht gestellter Menschen bei Eintritten oder Mensaessen, spiegeln sich auch in Einrichtungen wie dem Kirchheimer Sozialpass. „Viele Forderungen von uns sind eben geradezu zwangsläufig“, meint der Kandidat dazu mit spitzbübischem Grinsen. Geradezu zwangsläufig ergibt sich für ihn aus der Wohnungsnot der Bau von 250 000 neuen Sozialwohnungen jährlich: „Die Mietmaximierung, die momentan betrieben wird, ist nicht zu vertreten.“ Leerstand, der sich ohne Grund über mehr als sechs Monate erstreckt, will er mit Strafzahlungen belegen. Auch in Kirchheim hat seine Partei schon lautstark auf leer stehende Gebäude in der Innenstadt aufmerksam gemacht. Dass der Marktgedanke den Wohnungsbau prägt, darf seiner Meinung nach nicht sein. Über neue Bauformen gelte es nachzudenken: „Ist das frei stehende Einfamilienhaus überhaupt noch machbar?“, lautet seine rhetorische Frage.

Interviewtermin mit Brinker Linke Weitblick
Heinrich Brinker.   Fotos: Carsten Riedl

Ganz und gar nicht zeitgemäß ist für den IT-Fachmann die veraltete Automobiltechnologie hierzulande. Brinker, der einst von Bremen nach Stuttgart zu Daimler kam, hat mittlerweile sein Auto abgeschafft. „Mit dem Verbrennungsmotor konnten die Firmen zuverlässig Geld verdienen - jetzt ist das vorbei, und da wird plötzlich nach Vater Staat geschrien“, ärgert er sich und glaubt auch nicht an die Zukunft von Elektromotoren. Wenn der Staat eingreifen müsse, dann mit der Förderung von Forschung. Gerade im Hightech-Land Baden-Württemberg seien auch die Zulieferer mit ihrem hohen technischen Niveau fähig, anderes zu produzieren, etwa im Sektor der Medizintechnik.

Als Nutzer von Bus und Bahn kennt Brinker die Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs. „Die S-Bahn ist gut, aber auf dem Land hilft nur das Ruf-Taxi“, klagt er: „ÖPNV ist oft nicht reisen, das ist Transport!“ Deswegen müsse die Busfrequenz erhöht und das Ambiente am Bahnhof verbessert werden, auch durch die Anwesenheit von Personal. „Klar kostet das Geld, aber auch Individualverkehr kostet Geld“, meint Brinker mit Blick auf Straßenbau und Parkhäuser. Mit 60 Jahren zeigt sich der Linken-Vorkämpfer, der 1999 wegen des Jugoslawien-Konflikts in die PDS eingetreten war, in Sachen Verkehrspolitik ziemlich abgeklärt: „Das autonome Fahren wird kommen, wenn nicht in fünf, dann halt in zehn Jahren. Und ab da ist auch auf dem Land der autonom fahrende Bus möglich, sodass der ÖPNV einen Imagewandel erleben wird.“

Heinrich Brinker stellt sich vor

Biografisches: Ich bin 1957 in einem niedersächsischen Dorf geboren. Meine Eltern bewirtschafteten einen Bauernhof, auf dem die acht Kinder mitarbeiteten. Nach erfolgreichen Lehramtsstudium, aber mangelnden Berufsaussichten habe ich mich zum IT-Service-Manager weitergebildet und über 30 Jahre weltweit gearbeitet. Berufsbedingt bin ich 2006 von Bremen nach Kirchheim gezogen.

Politischer Werdegang: Meine Politisierung begann mit meiner Wehrdienstverweigerung. Die Sicherung des Friedens ist eines meiner wichtigsten Anliegen. In meinem direkten Wirkungsfeld aktiv zu sein, ist mir wichtig. So war ich als Student im ASTA und als Vater von zwei Söhnen in der Schulelternarbeit aktiv und bin auch in der Gewerkschaft organisiert. In den letzten Jahren habe ich mich besonders im Bündnis gegen Stuttgart 21 und im Kirchheim Bündnis gegen TTIP eingebracht. Diese Erfahrung hat mich mit anderen dazu geführt, eine Attac-Regionalgruppe zu gründen.

Politische Ziele: Wichtig ist mir, dass alle Menschen eine Chance auf Bildung, Kultur und soziale Sicherheit haben. Ich kämpfe für friedliche Zukunft, für Entspannungspolitik statt Aufrüstung. Gemeinsam mit anderen wehre ich mich gegen eine Globalisierung, die gegen die Mehrheit der Menschen gerichtet ist. Es kann nicht sein, dass wir direkt auf eine Klimakatastrophe zusteuern und nichts dagegen unternommen wird. Daneben engagiere ich mich gegen eine Wohnungsbaupolitik ohne jeden sozialen Anspruch.

Persönliches: Ich bin gern im Fitness-Studio, in der Sauna und an der frischen Luft, zu Fuß und per Rad. Im Sommer habe ich die Dauerkarte im Freibad genossen. Ich gehe oft ins Kino und ins Theater sowie zu Konzerten mit meiner Frau. Darüber hinaus interessiert mich die Geschichte von Kirchheim, und ich gebe gern bei Stadtführungen mein Wissen weiter.    pm