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Kinder an die Macht: In Blattstadt ist das Realität

Ferienprogramm In der Linde in Kirchheim funktioniert die kleine Stadt wie das große Vorbild. Die Bürger gehen zur Wahl, arbeiten – und genießen das Leben. Von Iris Häfner und Jean-Luc Jacques (Fotos)

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Foto: Jean-Luc Jacques
Kinderferienprogramm in der Linde in den Pfingstferien
Foto: Jean-Luc Jacques

Anarchie? Von wegen! In Blattstadt läuft alles in geordneten Bahnen. Einzige Ausnahme: Erziehungsberechtigte sind beim Ferienprogramm des Mehrgenerationenhauses Linde in Kirchheim nicht erwünscht. Das Schild „Elternfreie Zone“ sagt alles. Die Stadt funktioniert am zweiten Tag schon wie am Schnürchen. 62 Kinder und 20 Betreuer beleben Garten und Haus der Linde. Was auffällt: Die große Mehrheit arbeitet, beispielsweise in der Schreinerei oder in der Designmanufaktur. Selbst in der Wellnessoase herrscht gähnende Leere. Cocktails, Zitronenwasser und Tee stehen unberührt auf dem Tresen, ungenutzt die großzügige Chill-Ecke. Die Ruhe vor dem Sturm nutzen die fleißigen Angestellten. Sie kaufen Luftballons für die Disco am Nachmittag, denn die Wahl steht kurz bevor - danach soll gefeiert werden. Die Blattstadt-Bürger können vier zugelassenen Parteien und deren Kandidaten ihre Stimme geben. Dabei handelt es sich um Radio-Aktiv, Die Blattstädter, BGP und BKB, informiert der „Blattstadt-Bote“ druckfrisch seine Leser. „Denkt bitte alle daran, zu wählen, schaut auf die Ziele und überlegt euch die Wahl gut, schließlich wird das unsere Regierung!“, heißt es in dem Artikel weiter. Unabhängig davon hält Oberbürgermeister Tim das Zepter in der Hand. Muss er nicht die Geschicke der Kinder-Stadt leiten, ist Tim Rosalewski in der Linde für die Bereiche Schulkooperationen, Kinder und offene Jugendarbeit zuständig.

Der Spaß kommt selbst beim Arbeiten nicht zu kurz. Upcycling heißt das Zauberwort in der Designmanufaktur. Aus alten Kinder-T-Shirts werden tolle Ponchos, und beige Leinen-Taschen bekommen mit Glitzersteinchen so richtig Pepp. Alle Produkte, egal ob gezimmerter Tisch, neonfarbene Wollebobbel für Mützen, Gesichtscreme oder Wundertüten, landen auf dem Markplatz und können erstanden werden. Das so verdiente Geld kann dann etwa beim Friseurbesuch oder im Spielbereich ausgegeben werden. Ein buntes Zirkuszelt markiert die Zockerzone, etwa Büchsenwerfen. Jeder Blattstädter kann frei entscheiden, was er an diesem Tag treibt - eher faulenzen oder ranklotzen. Auch für den Forschergeist ist gesorgt. Die Betreuer haben Experimente vorbereitet, etwa den magischen Luftballon oder eine Lavalampe. Bei Letzterer kommen Wasser, Öl, Lebensmittelfarbe, Backpulver, Essig und vor allem eine Magnesiumtablette in einer schönen Glasflasche zum Einsatz. Die chemische Reaktion erzeugt einen Effekt, dem alle begeistert zuschauen. Die Zahlenfreaks und akribischen Arbeiter sind bei der Bank und dem Arbeitsamt höchst willkommen. Schließlich ist jeder ganz offiziell registriert, muss seine Steuern und Abgaben bezahlen. Und wenn sich Blüten in der eigenen Blüten-Währung finden, dann ist das nur ein Test der Radio-Leute, um die Bank auf die Probe zu stellen.