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„Kinderarmut wohnt nebenan“

Kinderstiftung Kein Geld, keine Chancen: Kinder aus Geringverdiener-Familien haben es sehr schwer, in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Von Miriam Steinrücken

Sommerfest der Kinderstiftung.Foto: pr
Sommerfest der Kinderstiftung.Foto: pr

Kinderarmut wohnt nebenan“, ist Olivia Longin überzeugt. „Selbst wenn sie in Baden-Württemberg versteckt ist.“ Die Krux liegt für die Geschäftsführerin der Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen darin, dass Kindern aus Geringverdiener-Haushalten vielerorts die soziale Teilhabe verwehrt sei. Damit verschlechtere sich ihre Chance, als Erwachsene in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Das will die Kinderstiftung der Caritas ändern. Darum fördert sie seit knapp fünf Jahren die Entwicklungschancen von armutsgefährdeten Kindern. Die Resonanz ist groß: 2018 ist die Zahl der Förderanträge gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent gestiegen.

Laut Bundesarbeitsagentur ist in Baden-Württemberg jedes fünfte Kind armutsgefährdet, betroffen sind insgesamt 358 000 Kinder. Als armutsgefährdet gilt der Nachwuchs, wenn er in einer Familie aufwächst, die weniger verdient als 60 Prozent des mittleren Monatseinkommens von derzeit 2 100 Euro. Im Kreis Esslingen leben knapp 5 500 Kinder in Armut. Longin zufolge werden es mehr. Darum hat die Caritas Fils-Neckar-Alb vor knapp fünf Jahren die Kinderstiftung gegründet. Mit einem Eigenkapital von 118 650 Euro und Spenden finanziert sie ihre Arbeit.

Drei Aufgabenbereiche hat sich die Kinderstiftung vorgenommen. Da sind zum einen die Einzelfallhilfen, dank derer Kinder beispielsweise Gitarre lernen, Fußball spielen oder an einer Ferienfreizeit teilnehmen können. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung 1 050 Anträge erhalten und insgesamt 75 000 Euro ausgeschüttet. In diesem Jahr wurden bereits 195 Kinder mit 12 000 Euro gefördert. „Dabei hat die staatliche Hilfe Vorrang“, betont Longin. Darum könne bei der Stiftung nur derjenige einen Antrag stellen, der entweder ein Bildungs- und Teilhabepaket, Hartz IV und Wohngeld beziehe oder aber zu den Geringverdienern zähle. „Ein Großteil der Antragsteller ist alleinerziehend“, sagt Norbert Kindler. Der ehrenamtliche Mitarbeiter führt Buch über Anträge und Ausgaben. Daher weiß er, dass unter berufstätigen Müttern die Nachfrage nach Kinderbetreuung groß ist.

Ihre zweite Säule nennt die Kinderstiftung „Chancenschenker“. Das Projekt wird koordiniert von Christina Kempf. Sie betreut Paten, die ehrenamtlich Kinder aus einkommensschwachen Haushalten begleiten. „Dabei handelt es sich um eine Patenschaft mit Strategie“, verdeutlicht Kempf. Denn bei den wöchentlichen Treffen wird ein Jahr lang an gemeinsam gesteckten Zielen gearbeitet. Ein zwölfjähriges Mädchen will zum Beispiel Klavier spielen lernen. Doch die Mutter ist arbeitslos und erzieht ihre vier Kinder allein. Dementsprechend kann sie sich kein Klavier leisten. Doch die nahe gelegene Grundschule verfügt über solch ein Instrument. Dort übt die Tochter nun regelmäßig mit ihrer Patin Tonleitern, Taktgefühl und Lieblingslieder. 31 Paten sind im Landkreis Esslingen aktiv. „Anfangs war der Großteil weiblich“, gesteht Projektleiterin Kempf. Inzwischen seien aber viele Männer dazugestoßen. Studenten, Berufstätige, Rentner - alle Alters-, Bildungs- und Berufsgruppen seien vertreten. „Ein Querschnitt durch die Bevölkerung“, lobt Kempf. Davon profitieren die Kinder. „Es geht darum, Horizonte zu öffnen und Chancen aufzuzeigen“, erklärt Longin. „Da ist ein Fürsprecher, der den Kindern unter die Arme greift, eine große Hilfe.“

Doch die Kinder sind nicht nur Leistungsempfänger, sondern werden auch selbst aktiv in der Stiftung. Im Kinderbeirat entscheiden fünf Neun- bis Siebzehnjährige jedes halbe Jahr selbstständig über die Vergabe von 1 000 Euro an soziale Hilfsprojekte. Madeleine Ulrich ist eine von ihnen. Was spricht für einen Antrag, was dagegen? „Die Diskussion darüber verläuft immer sehr lebhaft“, berichtet die Zwölfjährige. Am Ende bekamen ein Schwimmkurs für Flüchtlinge den Zuschlag, Turngeräte für eine Gymnastikgruppe und Kostüme für ein Tanzteam.

1 Weitere Infos zur Kinderstiftung finden Interessenten im Internet unter www.kinderstiftung-esslingen-nuertingen.de