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Klinik-Chef: „Ich erwarte hier im Landkreis keine Schließungen“

Interview In der Debatte um die Strukturreform der Krankenhäuser wird am Ende nicht alles so heiß gegessen wie gekocht, meint Sebastian Krupp, Geschäftsführer der drei Medius-Kliniken im Kreis. Sorge bereitet sie ihm dennoch. Von Bernd Köble

Es ist eine Reform, die längst überfällig ist und die die Kliniklandschaft in Deutschland gravierend verändern wird, darüber sind sich fast alle Experten einig. Was die weitreichende Strukturreform für die Patienten im Kreis Esslingen bedeuten könnte, darüber hat sich der Teckbote mit dem Geschäftsführer der Medius-Kliniken, Sebastian Krupp, unterhalten.

 

Herr Krupp, Reform sei ein zu schwaches Wort für das, was die Politik mit ihrer Krankenhausreform plant, heißt es. Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht von Revolution. Beunruhigt Sie das?

Sebastian Krupp: Das eine grundlegende Reform in Deutschland kommt, das war zu erwarten und ist auch richtig. Der Gesundheitsminister nennt es Vergütungsreform. Das greift natürlich viel zu kurz. Es handelt sich um eine grundlegende Strukturreform. Die Vergütung wird sicher ein Teil der Reform werden, aber der ist nicht klar ausdefiniert. Die Pandemie hat jedoch gezeigt, dass sich etwas ändern muss. Wenn die Fallzahlen sinken, haben die Kliniken wegen der fehlenden Fixkostendeckung sofort ein Problem. Die Regierungskommission plädiert stark für eine Zentrierung der Krankenhäuser. Klinikschließungen ist das Stichwort, das zwar nicht offen ausgesprochen wird, aber durch die geplante Einführung von drei Leveln wird es zwangsweise dazu kommen.

Was wären aus Ihrer Sicht die konkreten Folgen für die Klinik-Standorte hier im Kreis Esslingen?

Der bisherige Reformvorschlag würde bedeuten, dass das, was wir an Erfolgen bisher erreicht haben, erst einmal konterkariert würde. Wir haben mit der Psychiatrie in Nürtingen und der Klinik in Plochingen in der Vergangenheit schon zwei Häuser geschlossen. Wir haben also längst umgesetzt, was jetzt als Gedanke dahintersteckt. Neben Prozessoptimierungen und Digitalisierung hat dies zur Folge, dass wir schon seit Jahren schwarze Zahlen schreiben. Und jetzt kommt die Reform. Wen man diese streng auslegen würde, würde das bedeuten, dass alle drei Medius-Kliniken den Level „1i“ hätten aufgrund der Erreichbarkeit von größeren Level-2 beziehungsweise Level 3-Krankenhäusern. Bezogen auf den Landkreis würden damit wahrscheinlich vier Kliniken durch diese Einstufung aus der stationären Versorgung herausfallen. Das kann weder der Wille sein, noch würde auf diese Weise eine adäquate Versorgung funktionieren.

Die Rede ist von rund 140 Krankenhäusern allein in Baden-Württemberg, die von Schließungen bedroht wären. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Wenn die Reformvorschläge eins zu eins so umgesetzt würden, wie sie vorliegen, dann gäbe es noch 33 richtige Kliniken im Land, und der Rest wäre irgendwas zwischen Krankenhaus und ambulantem Angebot. Zu letzterem würde als prominentestes Bespiel auch das Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart zählen. Das verdeutlicht, dass die Pläne nicht ausgegoren sind. Nimmt man das Thema Betten pro 100 000 Einwohner, da ist Baden-Württemberg mit 480 im bundesweiten Vergleich schon weit vorne. Der Landkreis Esslingen liegt bei 360. Das zeigt: Weniger Betten können wir uns nicht leisten. Schon heute sind in den Wintermonaten die Rettungsleitstellen in den Kliniken immer mal wieder abgemeldet, weil wir keine freien Kapazitäten haben.

Die Medius-Kliniken werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts 300 Millionen Euro in bauliche Erweiterungen und in Schwerpunkt-Medizin investiert haben. Könnte es sein, dass Sie ihr seitheriges Geschäftsmodell komplett neu überdenken müssen?

Ich glaube nicht komplett neu. Es kann sein, dass am Ende ein Ergebnis herauskommt, bei dem wir uns in gewisser Weise anpassen müssen. Ich erwarte aber nicht, dass daraus eine Standortschließung resultieren wird.

Die Sorge in der Bevölkerung und in der Belegschaft ist trotzdem da. Vor allem in Kirchheim fürchten manche, dass es hier in absehbarer Zeit nur noch eine Psychiatrie geben könnte. Teilen Sie diese Sorge?

Nein. Da würde ich mich auf den Vorschlag der Kommission beziehen, dass ein Plan-Krankenhaus mit mehreren Standorten als ein Level betrachtet wird. Wenn man Kirchheim und Nürtingen also zusammennimmt, dann haben wir alle Voraussetzungen für Level zwei, wenn nicht für drei. Ich bin davon überzeugt, dass es bei der Festlegung der Levels Ausnahmen geben wird. Dementsprechend würden wir in den Medius-Kliniken keine große Umstrukturierung benötigen.

Sie gehen also davon aus, es wird nicht alles so heiß gegessen wie gekocht?

Das kann es nicht. Bei einer harten Umsetzung der Pläne hätten wir keine ausreichende Versorgung mehr hier im Landkreis. Ich glaube nicht, dass das vom Ministerium oder von Herrn Lauterbach gewollt ist. Im Prinzip geht es um die kleineren Kliniken mit weniger als hundert Betten, von denen es in Deutschland noch immer Hunderte gibt. Diese sind wahrscheinlich das Ziel. Dass eine solche Bereinigung regional sensibel umgesetzt wird, bedeutet eine Aufweichung der Level und das, was man in diesen Leveln erbringen darf. Da setze ich auf unseren Gesundheitsminister, Herrn Lucha, der an prominenter Stelle mitwirkt und weiß, was in diesem Land an Versorgungsstrukturen wichtig ist.

Weniger Kliniken, dafür größer und besser ausgestattet zum Wohl der Patienten – Würden sie diesen Grundgedanken grundsätzlich unterschreiben?

Unbedingt. Aber das heißt ja nicht, dass das Krankenhaus sehr groß sein muss. Vor diesem Hintergrund bieten wir in den Medius-Kliniken nicht an jedem Standort das gleiche Leistungsangebot. Wir haben Schwerpunkte gebildet wie die Rheumatologie hier in Kirchheim, die es auf diesem Niveau vielleicht noch ein oder zweimal in ganz Baden-Württemberg gibt. Für diese Schwerpunktbildung brauchen Sie kein 1000-Betten-Krankenhaus. Das funktioniert wirtschaftlich auch in kleineren Strukturen.

Gibt es mit Blick auf die großen Baumaßnahmen in Nürtingen und Ruit etwas, das durch die Reform zum Bumerang werden könnte?

Dass es nicht nahtlos mit dem benötigten zweiten Bauabschnitt in Ruit weitergeht, zu dem wir mit dem Sozialministerium in Verhandlung stehen. Das Ministerium muss seine knappen Gelder jetzt schon auf viele Standorte verteilen. Die Frage, die sich da stellt: Was passiert, wenn bereits investierte Fördergelder hinfällig werden, weil kleine, gerade sanierte 150-Betten-Häuser schließen müssen. Wenn Sie irgendwo etwas schließen, dann müssen Sie es in der Regel an anderer Stelle dazu bauen. Das würde zu einem zusätzlichen Investitionsaufwand für das Land führen. Vor diesem Hintergrund habe ich große Bedenken, dass bereits verhandelte Projekte ins Stocken geraten. Ich befürchte, dass das Land bei der Investitionsvergabe zögerlicher sein wird, wenn ein Reformentwurf auf dem Tisch liegt.

Positiv formuliert, Sie haben in Nürtingen und Ruit gerade noch rechtzeitig den Startknopf gedrückt?

Ja. Das ist definitiv so.

Dass die Fallpauschalen als wirtschaftlich wichtigster Indikator die Rationalisierung in den Kliniken befeuert haben, darüber herrscht Einigkeit. Worüber muss man reden, wenn sich künftig mehr Zeit für intensive Pflege älterer Menschen oder kranker Kinder rechnen soll?

Das ist genau der Punkt, der nicht adressiert wurde. Die Frage, woher das Geld kommen soll, damit wir als Kliniken mehr in Pflege und medizinisches Personal investieren können, ist für mich nicht beantwortet.

Was also schlagen Sie vor?

Wenn man sich die Länderfinanzierung anschaut, wie sie ist, dann müsste die durchschnittliche 50-Prozent-Förderung auf 70 oder 75 Prozent erhöht werden. Das würde vor allem den Druck von den Kliniken nehmen, operativ Gewinne schreiben zu müssen. Das wäre ein wichtiger Punkt.

Den jetzt angepeilten Finanzierungs-Mix aus Fallpauschale und Vorhalte-Budget halten viele Experten für viel zu kompliziert und in der Praxis gar nicht umsetzbar. Würden Sie dem folgen?

Das ist auch genau meine Sorge. Diese Überlegungen könnten am Ende dazu führen, dass der Bürokratieaufwand weiter steigt, da dies zu viel mehr Dokumentations- und Verhandlungsaufwand führt, ohne dass für Patienten dadurch irgendein Nutzen entsteht. Bürokratie-Abbau wäre sicher ein hehres Ziel, das die Politik mit dieser Reform verfolgen sollte.

Im Sommer sollen Details der Reform vorgestellt werden. Mit einer Umsetzung wird frühestens in fünf Jahren gerechnet. Sitzen aus Ihrer Sicht die richtigen Leute am Verhandlungstisch?

Bislang nicht, wie man sieht. Ich halte es für fahrlässig, dass ein Entwurf ausgegeben wird, ohne eine Folgenabschätzung zu machen. Jetzt sind die Länder gefordert, ihre Interessen zu vertreten. Ich erwarte leider nicht, dass die Kliniken, die das Ganze umsetzen müssen, mit an den Tisch rücken. Da hat sich Herr Lauterbach ja schon deutlich erklärt.

Wenn Sie, was die Kliniklandschaft im Kreis betrifft, zehn Jahre in die Zukunft blicken könnten, was würden Sie da sehen?

Definitiv eine sichere medizinische Versorgung. Und mit der Filderklinik und dem Klinikum Esslingen weiterhin fünf Standorte.
 

Vom Klinikleiter zum Geschäftsführer

Sebastian Krupp ist seit März 2021 Geschäftsführer der drei Medius-Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ostfildern-Ruit. Er trat mitten in der Pandemie die Nachfolge von Thomas Kräh an. Krupp kennt den Klinikverbund im Kreis Esslingen bestens. Er leitete vor seiner Ernennung zum Geschäftsführer acht Jahre lang als Prokurist die Medius-Klinik in Ruit. Zuvor war er Verwaltungsdirektor der privaten Schön-Klinik in München-Harlaching. Seit diesem Jahr wird der Diplom-Betriebswirt unterstützt von Dr. Jörg Sagasser, der als zweiter Geschäftsführer für den Medizinbereich der Medius-Kliniken verantwortlich ist. Sebastian Krupp ist 41 Jahre alt und lebt mit seiner Familie mit drei Kindern in Gröbenzell bei München. Seit drei Jahren ist er Vater von Zwillingen.  bk