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Kreisgemeinden eifern Tübingen nach

Versuch Mitte März hat sich Tübingen aus dem Lockdown verabschiedet. Seit dem sind Einzelhandel, Gastronomie und Kultur wieder geöffnet. Viele Gemeinden wollen eine ähnliche Strategie fahren. Von Matthäus Klemke

Im Biergarten sitzen, und die Sonne genießen: Während andere Städte noch immer mit der Lockdown-Depression zu kämpfen haben, ist in Tübingen seit knapp über einer Woche etwas Normalität eingekehrt. Jeder, der einen negativen Schnelltest vorweisen kann, darf Läden, Bars, Cafés, Kinos und Museen besuchen.

Der Tübinger Sonderweg ist nicht unumstritten. Während Oberbürgermeister Boris Palmer die Öffnungsstrategie weiter verteidigt, kommt Kritik von SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der das Modellprojekt aufgrund steigender Infektionszahlen jüngst für gescheitert erklärt hat.

Nichtsdestotrotz wollen Gemeinden aus dem Kreis den Tübinger Weg einschlagen. „Wir in Nürtingen sind im Kontakt mit dem Sozialministerium und möchten, sobald es die rechtlichen und tatsächliche Umstände zulassen, entsprechend des Tübinger Modells den Einzelhandel, die Dienstleister und die Gastronomie öffnen“, sagt Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich.

Einen Antrag habe Nürtingen noch nicht gestellt. Die Aussichten auf Erfolg seien verschwindend gering, sagt Fridrich. Zu hoch sei der Inzidenzwert im Kreis. „Tatsache ist, dass sich in den letzten Tagen die Pandemielage verschärft hat, und die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen mit Covid-19 steigt.“ Ohne sinkende Infektionszahlen, werde es keine Öffnung geben. „Es genügt nicht, einen Antrag beim Sozialministerium zu stellen. Es muss der Nachweis erbracht werden, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus greifen.“ Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn möglichst viel getestet wird.

Esslingens Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger hat jüngst in einem offenen Brief an Gesundheitsminister Manne Lucha darum gebeten, „die Sonderregelung der Stadt Tübingen auf Esslingen und andere Städte auszuweiten“.

Die Hoffnung der Bürger und Stadtoberhäupter nährte am Mittwoch niemand geringeres als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Keinem Bürgermeister sei es verwehrt, das zu tun, was in Tübingen gemacht wird, so die Kanzlerin.

„Das stimmt natürlich nicht“, sagt Kirchheims Oberbürgermeister Dr. Pascal Bader. Kein Bürgermeister dürfe sich ohne weiteres über die Corona-Verordnung hinwegsetzen. Auch Bader hat einen Antrag beim Ministerium gestellt.

Wie in Tübingen hätten nur Leute mit negativem Ergebnis Zutritt zu den Läden. „Das soll rein elektronisch ablaufen“, so Bader: „Das Ergebnis bekommt man aufs Handy geschickt.“ Die Öffnungen in Kirchheim sollen stufenweise geschehen: Im ersten Schritt sollen Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen und Fitnessstudios öffnen dürfen. „Ein bis zwei Wochen später könnte die Gastronomie folgen.“

Auf dem Tübinger Markplatz beim Rathaus heißt es: Warten, bis man den Schnelltest machen kann - ehe es in die Läden der Innensta
Auf dem Tübinger Markplatz beim Rathaus heißt es: Warten, bis man den Schnelltest machen kann - ehe es in die Läden der Innenstadt geht. Foto: Markus Niethammer

Ob sich das Sozialministerium darauf einlässt, bleibt abzuwarten. „Die erste Rückmeldung war positiv, nun möchte man die Ergebnisse aus Tübingen auswerten“, erklärt Bader. Wenig überraschend: Zahlreiche Gemeinden wollen sich zum Versuchsprojekt erklären lassen. Es seien „erwartungsgemäß viele Anfragen und Anträge für ein Modellvorhaben beim Ministerium eingegangen“, so Pressesprecher Markus Jox.

Darunter auch aus Aichtal. Einen entsprechenden Brief habe man bereits geschickt, teilt Bürgermeister Kurz mit. Bei einer Inzidenz von wenig mehr als 30 in Aichtal Mitte der Woche sei es nur „schwer zu verstehen, wieso die Stadt im Lockdown bleiben muss“. Mit einem flächendeckenden Schnelltest-Angebot, einer dezentralen Teststrategie und einer Vor-Ort-Impfung der über 80-Jährigen, habe man „die besten Voraussetzungen“.

Dass es weitere Modellkommunen geben könnte, schließt Gesundheitsminister Lucha nicht aus: „Wir sind offen für weitere Modellversuche. - Allerdings alles vor dem Hintergrund der Infektionszahlen.“