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Landwirte fühlen sich unter Druck

Kreisbauerntag in der Dettinger Schlossberghalle sehr gut besucht

Zur „Ernährungsdiskussion in der Gesellschaft“ redete der Lebensmittelchemiker und Sachbuchautor Udo Pollmer Tacheles, die Landjugend Nürtingen gefiel mit Tanzvorführungen – am Samstag ging in der Dettinger Schlossberghalle ein kurzweiliger Kreisbauerntag über die Bühne.

Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands, verabschiedete seinen Mitvorsitzenden Michael Zimmermann (2. v. re.) aus
Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands, verabschiedete seinen Mitvorsitzenden Michael Zimmermann (2. v. re.) aus Köngen und begrüßte dessen Nachfolger Tobias Briem aus Bernhausen.Foto: Sabine Ackermann

Sabine Ackermann

Dettingen. „Wir sind im Druck zwischen Klima, Einkommen, Bürokratie, Arbeit sowie Gesellschaft und Politik und doch – wir werden gebraucht“, sagte Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands auf dem Kreisbauerntag in der Dettinger Schlossberghalle. Oft würden die Bauern bezüglich des Kohlendioxid-Ausstoßes kritisiert. Dennoch sehe die Klimabilanz in der Landwirtschaft positiv aus. „Wachstum unserer landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und sorgfältige Bearbeitung fruchtbarer Böden sind das beste Rezept, wenn die Menschheit etwas Natürliches essen will“, sagte Nägele. Zur Verbesserung des Einkommens sehe er die beiden Ebenen Direktvermarktung und mehr Export. „Wir importieren im Nahrungsmittelbereich mehr als wir exportieren. Ich halte es für viel sinnvoller, den Kaffee von der Elfenbeinküste zu importieren, und wir liefern im Gegenzug die Kaffeemilch dorthin.“

Die Landwirte erstickten im Dschungel von Paragrafen und Vorschriften. „Wenn alle nach unseren Produktionsstandards, auch den sozialen, produzieren müssen, dann ist Essen auf der Welt nicht mehr zu bezahlen“, unterstrich der Vorsitzende weiter. Bauern fühlten sich oft nicht verstanden. Werde versucht, Landwirtschaft in den Kategorien wie Gewerbe und Industrie zu betrachten, ginge das schief. Sie sei vielmehr Urproduktion auf wenigen Zentimetern Ackerkrume mit seit Jahrtausenden von der Natur vorgegebenen Arbeitsabläufen, die Flexibilität erforderten. „Wir arbeiten viel im Freien mit manchmal nicht kontrollierbaren Parametern. Wir können Tiere nicht ausschalten oder entlassen, müssen deshalb den Druck des Marktes aushalten und tragen Verantwortung für Nahrungsmittel.“ Rückrufaktionen beim Auto würden als Service gewertet, bei Lebensmitteln sind sie ein Skandal“, sagte Siegfried Nägele und betonte: „Lebensmittel werden als größter Sparfaktor gesehen, Veränderungen sind gewollt, werden aber nicht bezahlt.“ Wichtig sei, die Öffentlichkeitsarbeit weiter zu entwickeln, auch mit Hilfe der neuen Medien. „Lebensmittelproduktion braucht ein Gesicht.“

Bürgermeister Rainer Haußmann bestätigte dies unter anderem in seiner Rede. So mokierten sich die Kunden auf dem Wochenmarkt bei seiner Mutter über die etwas höheren Kilopreise bei Kirschen. „Wenn sie den Menschen dann ihre Finger zeigt und mit ihnen darüber redet, schafft sie es immer wieder, sie von der Notwendigkeit zu überzeugen.“

Ebenfalls die Preispolitik im Visier hatte die erste Landesbeamtin Dr. Marion Leuze-Mohr. „Das Vertrauen ist groß, die Produkte sind gut und die Lebensmittel sicher.“ Das sei das Ergebnis einer Forsa-Umfrage, bei der sich 86 Prozent für eine bessere Bezahlung von regionalen Nahrungsmitteln ausgesprochen hatten. Leider hätten sich solche Lippenbekenntnisse im Kaufverhalten der Verbraucher nicht breitgemacht. Leuze-Mohr plädierte für eine gerechte Entlohnung auch in Anbetracht des Megatrends der Hof- und Regionalläden. Von ihnen sollten die Einwohner des Landkreises Esslingen regen Gebrauch machen.

Der Lebensmittelchemiker und Sachbuchautor Udo Pollmer prangerte unter der Überschrift „Ernährungsdiskussion in der Gesellschaft“ die neuen Religionen von Vegetarismus und Gesundheitskost an. Es gebe keine gesunde Ernährung für alle. „Essen muss bekömmlich sein, denn Unbekömmliches kann nicht gesund sein, egal, wer es empfiehlt“, lautete sein Credo. „Eine Gurke enthält 97 Prozent Wasser, ein Apfelsaft 87 Prozent. Muss ich jetzt zur Gurke was essen und zum Saft was trinken oder umgekehrt?“, fragte Pollmer spitz und ergänzte: „Der Wassergehalt von festen Nahrungsmitteln liegt in der gleichen Größenordnung wie der von flüssigen. Jede Ernährungsberaterin weiß, dass die Empfehlung, viel zu trinken, dummes Zeug ist.“ Auch Produkte aus Soja bekamen ihr Fett weg. Hauptsächlich richtete sich Pollmers Kritik auf die Art und Weise, wie heute Meinung und Überzeugungen über gesunde Ernährung pseudowissenschaftlich gestützt und vor allem über die sozialen Medien verbreitet würden. So behauptete er unter anderem, die zahlreichen aus Japan kommenden Hundertjährigen, deretwegen die asiatische Ernährung so gelobt werde, existierten überhaupt nicht. „Sie sind das Resultat mangelnder Einwohnererfassung“, betonte Pollmer. Er riet den Landwirten und Kreisverbänden, schneller auf falsche Darstellungen zu reagieren. „Die Landjugend sollte mit Videoclips und anderen Kurznachrichten ein reales Bild der Landwirtschaft im Internet zeigen“, so der Referent.

Die Landjugend Nürtingen unterhielt mit traditionellen Tänzen, am Ende gab es noch viele Ehrungen.

Landwirte fühlen sich unter Druck
Landwirte fühlen sich unter Druck