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Lauter Wasser – Fluss auf Abwegen

Über undichte Stellen im neuen „Naturbett“ dringt die Lauter nächtens in fremde Keller ein

Die Stadt Kirchheim will den Lauf der Lauter an der Bruckmühle naturnaher gestalten und hatte deshalb den Fluss bereits in neue Bahnen gelenkt. Allerdings war die Lauter von ihrer neuen Freiheit derart ­begeistert, dass sie gleich auch noch einige Keller in der ­Nachbarschaft „besuchte“.

„Rekanalisierung“: Statt im naturnahen neuen Steinbett fließt die Lauter zwischen Schlachthof und Bruckmühle vorläufig wieder in
„Rekanalisierung“: Statt im naturnahen neuen Steinbett fließt die Lauter zwischen Schlachthof und Bruckmühle vorläufig wieder in ihrem „angestammten“ kanalartigen Bett direkt am Kirchheimer Postgebäude entlang. Die Verlegung hatte zu vollgelaufenen Kellern in der Nachbarschaft geführt.Foto: Jean-Luc Jacques

Andreas Volz

Kirchheim. Im Nachhinein weiß man vieles besser. Das gibt Bürgermeister Günter Riemer auf Nachfrage des Teckboten durchaus zu: „Für uns ist jetzt nachvollziehbar, was passiert ist. Aber im Vorfeld konnte niemand damit rechnen.“ Der Grundwasserspiegel liege an dieser Stelle tiefer als das Lauterbett, deutlich tiefer. In ihrem bisherigen, kanalisierten Bett sei die Lauter richtiggehend eingeschlossen gewesen. Im neu angelegten, naturnahen Bett dagegen habe es „Undichtigkeiten“ gegeben. Folge: „Das Wasser ist im kiesigen Untergrund nach unten weggesickert, und das hat den Grundwasserspiegel angehoben.“

Insofern war es wohl nicht direkt die Lauter, sondern die Verbindung aus Lauter und Grundwasser, die sich einen Weg in drei Keller suchte. Als der Stadt das Problem gemeldet wurde, habe man sofort reagiert, berichtet Günter Riemer: „Wir haben das Wasser aus dem neuen Bett abgepumpt und die Lauter wieder in ihr altes Bett zurückgeführt.“

Im weiteren Verlauf gehe es nun darum, das neue Flussbett entsprechend abzudichten. Die Arbeiten seien in Vorbereitung, ein Angebot liege vor. Anschließend kann ein neuer Versuch beginnen, die wilde Lauter umzubetten – hoffentlich ein wenig sanfter als beim ersten Mal.

Die schnelle Reaktion der Stadtverwaltung lobt auch ein betroffener Anrainer. Allerdings war ihm das Prob­lem der Umbettung vor einigen Tagen erst mitten in der Nacht bewusst geworden. Zunächst einmal hatte er an einen Rohrbruch gedacht und am späteren Nachmittag einen Installateur gerufen. Als aber sämtliche Leitungen abgestellt waren und das Wasser weiter stieg, kam gegen 22  Uhr die Erkenntnis, dass die Lauterverlegung damit zu tun haben könnte.

Die vorübergehende Lösung war ein Loch im Boden, durch das die Wassermengen langsam wieder versickern konnten, sodass der Schaden letztlich „überschaubar“ geblieben sei. Nachdem er die Stadtverwaltung am nächsten Morgen informiert hatte, sei die Lauter innerhalb kurzer Zeit wieder „rückverlegt“ worden. Auch ein Sachverständiger sei bereits zwei Tage später vorbeigekommen, um den entstandenen Schaden zu begutachten. Somit vertraut der Mann auch auf eine rasche Einigung mit der zuständigen Versicherung.

Trotzdem dürfte er mit Spannung dem Termin entgegensehen, an dem der Lauter erneut freier Lauf gelassen werden soll: Regelmäßige Wasserstandskontrollen im Keller sind da sicher zu empfehlen. Jetzt erst recht.

„Freie Tochter der Natur“Randnotiz

Schiller hat in seinem „Lied von der Glocke“ beschrieben, wie segensreich und zugleich verheerend das „Element“ Feuer wirken kann. Eine der wichtigsten Erkenntnisse lautet: „Wohltätig ist des Feuers Macht / Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.“ Erweist sich die himmlische Kraft des Feuers dagegen als „die freie Tochter der Natur“, wird es „furchtbar“. Kirchheim hat das vor 325 Jahren erfahren, beim großen Stadtbrand am 3. August 1690.

Jetzt – im Juli 2015 – ist zwar nicht die ganz große Katastrophe eingetreten. Aber auch das entgegengesetzte „Element“ Wasser ist aus seiner Bezähmung ausgebrochen: Die Lauter ist als „freie Tochter der Natur“ ihrer „eig‘nen Spur“ gefolgt. Einziger Vorteil: Durch eigene Initiative der Anwohner und mithilfe der Stadt ließ sich der Lauter auf ihrem Weg zur freien Entfaltung der gebotene Widerstand entgegensetzen.

Ohne diesen Widerstand hätte auch hier Schillers Klageruf gegolten: „Wehe, wenn sie losgelassen“. Gemeint ist damit zwar weiterhin die Kraft des Feuers. Aus dem Zusammenhang gerissen, kann „sie“ aber auch für die Kraft des Wassers stehen, in diesem Fall für die Lauter, und sogar für die „Elemente“ allgemein. Auch dabei hilft Schiller weiter: „Denn“, so dichtet er, „die Elemente hassen / Das Gebild‘ der Menschenhand.“

Was tun gegen die unbändige Kraft der „Elemente“? Außer Schiller könnte auch Shakespeare weiterhelfen, wenn es darum geht, die Lauter ohne Widerrede ins Bett zu schicken. Seine Ratschläge sind nachzulesen unter dem Titel: „Der Widerspenstigen Zähmung“.ANDREAS VOLZ