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Lotsen in schweren Fahrwassern

Arbeitskreis Leben in Kirchheim hilft, wenn Krisen übermächtig werden

Der Job ist weg, die Liebe am Ende – Ereignisse wie diese können einen aus dem Fahrwasser bringen. Nicht immer findet man aus solchen Lebenssituationen alleine zurück auf den richtigen Kurs. Wenn Selbstmordgedanken aufkommen, sind die Lotsen vom Arbeitskreis Leben zur Stelle.

Gabriele Alberth (links) betreut hauptsächlich das Büro des Arbeitskreis Leben in Kirchheim. Neben ihr steht Geschäftsführerin U
Gabriele Alberth (links) betreut hauptsächlich das Büro des Arbeitskreis Leben in Kirchheim. Neben ihr steht Geschäftsführerin Ursula Strunk. Foto: Nicole Mohn

Kirchheim. Etwas versteckt zwischen Bürgerbüro und dem Mehrgenerationenhaus Linde ist der Arbeitskreis Leben in Kirchheim zu Hause. Über die Stiege geht’s rauf unters Dach. Neben einem Schreibtisch gibt es auch eine kleine Gesprächsecke. Draußen rauscht auf dem Alleenring der Verkehr vorbei.

Hier ist der Arbeitsplatz von Gabriele Alberth, die hauptsächlich das Büro des Arbeitskreis Leben (AKL) in Kirchheim betreut. Ihre Tür steht jedem offen, der nicht mehr weiter weiß. Vor allen jenen, die glauben, dass es keinen anderen Ausweg gibt als Suizid. Die meisten suchen zunächst telefonisch Kontakt. Das fällt vielen ihrer Klienten leichter, als der direkte Weg in die Beratungsstelle. Der AKL sorgt deshalb dafür, dass kein Anruf ins Leere läuft. Im Team mit dem AKL-Büro in Nürtingen ist tagsüber eine große Erreichbarkeit garantiert. „Das ist uns sehr wichtig“, betont die Pädagogin. Ist das Büro wirklich mal nicht besetzt, springt sofort ein Anrufbeantworter an.

Mit einem Telefon hat beim Arbeitskreis Leben auch alles begonnen: „Entwickelt haben sich unsere Angebote aus der Telefonseelsorge“, blickt Geschäftsführerin Ursula Strunk auf die Anfänge der Arbeitskreise Leben zurück, von denen es landesweit zehn gibt. „Gerade bei suizidalen Krisen reicht es nicht aus, nur telefonisch zu handeln“, erläutert die Sozialarbeiterin.

Mit seinem niederschwelligen Konzept hat der Arbeitskreis Nürtingen-Kirchheim im vergangenen Jahr über 120 Männern und Frauen helfen können. Die Hauptamtlichen leisten dabei die erste Gesprächsunterstützung – zeitnah: „Nur so können wir verhindern, dass sich die Problematik nicht verfestigt oder gar verschlimmert“, erklärt Alberth. Schon das erste Gespräch empfinden die Klienten oft als hilfreich. „Wir durchbrechen den Kreislauf der immer gleichen Antworten“, erklärt Gabriele Alberth. Das Gespräch helfe vielen auch, das zu identifizieren, worunter sie am meisten leiden. Im zweiten Schritt stellt der AKL den Ratsuchenden meist einen der ehrenamtlichen Krisenbegleiter an die Seite. 29 Männer und Frauen haben sich für die Aufgabe qualifiziert. Grundsätzlich gehe es nicht darum, den Ratsuchenden Dinge abzunehmen und die Krise zu managen, sagt Strunk. „Sie sind vielmehr so etwas wie Geburtshelfer, die Ideen einbringen, stützen und eventuell auch warnen“, so Ursula Strunk. Hilfe zur Selbsthilfe also, die aufräumt mit der erlebten Hilflosigkeit. „Unsere Klienten sollen spüren: Meine Ideen sind gut für mich“, betont Alberth.

Nicht nur helfen, sondern aufklären will der Arbeitskreis Leben. Dabei setzen Alberth und ihre Kollegen schon im Schüleralter an. „Verrückt, na und!“ heißt das Projekt, das der AKL für die Kirchheimer Schulen anbietet. Es soll die Jugendlichen nicht nur seelisch fit für die Schule machen, sondern auch die Scheu vor dem Tabuthema psychische Erkrankungen nehmen: Die Hürden in den Köpfen senken, sich bei Problemen an Stellen wenden, die helfen können. „Zugleich lernen uns die Jungen und Mädchen auch als Ansprechpartner kennen“, sagt die Pädagogin.

All das leistet der AKL Nürtingen-Kirchheim mit einer äußerst dünnen Finanzdecke. „Wir sind ständig auf Spenden und Zuwendungen angewiesen“, sagt Ursula Strunk. Denn allein aus den Zuschüssen der Städte Nürtingen und Kirchheim sowie Land und Landkreis könnte er nicht überleben.

Warnsignale sind Selbstverletzungen, Alkohol und die Abwendung von den Menschen

„Wer von Selbsttötung spricht, tötet sich nicht“, heißt es allgemein. Doch Erfahrungen zeigen, dass die meisten Menschen, die über einen Suizid nachdenken, versteckte oder offene Signale aussenden, mit denen sie anderen ihre Absicht indirekt mitteilen wollen. Warnsignale gibt es viele: Eine plötzliche Leistungsverweigerung, egal ob in Beruf und Schule oder in der Freizeit zählt dazu. Wendet sich ein Mensch von seinen engen Bezugspersonen ab und kaum noch Gesprächsbereitschaft oder Interesse an Dingen zeigt, die sein Umfeld betreffen, ist das ein Warnsignal. Auch der plötzliche Rückzug aus Beziehungen zählt dazu. Ebenso Selbstverletzungen, die Flucht in Alkohol oder Tablettenmissbrauch, veränderte Essgewohnheiten können Indiz sein. Häufen sich diese Anzeichen, weist das aus Erfahrung der Mitarbeiter vom Arbeitskreis Leben auf eine suizidale Problematik hin. „Dann wären Hilfsangebote wichtig“, rät der AKL. Auch Nahestehende oder Angehörige eines Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Arbeitskreise wenden. Weitere Informationen rund um die Angebote des Arbeitskreises Leben sowie zum Thema selbst gibt es im Netz unter www.ak-leben.de. mo