Weilheim · Lenningen · Umland

Lust und Leidenschaft

Geschichten von Guy de Maupassant

Kirchheim. Klar, dass jemand, der fünfunddreißig Jahre in Frankreich gelebt hat, sich für einen französischen Autor entscheidet, wenn es

um die Lesung des Literaturbeirats beim „Literarischen Weihnachtsmarkt“ geht. Barbara Haiart lebt nun schon eine geraume Zeit in Kirchheim und ist willkommenes Neumitglied im Literaturbeirat. Sie hat für die Vorlesestunde im Max-Eyth-Haus Geschichten von Guy de Maupassant mitgebracht, entnommen dem Sammelband „Im Frühling“ mit dem passgenauen Untertitel „Geschichten von Lust und Leidenschaft“.

Bevor es losging mit den Lüsten und Leidenschaften, gab Barbara Haiart einen Einblick in die Biografie und die Bedeutung des Autors: Die Lebensdaten sind 1850 bis 1893 – also ein kurzes Leben. Kurz, weil der Autor von einer Seuche, die vielen großen Geistern zum Verhängnis wurde, hinweggerafft wurde: von der Syphilis. Sein Leben war kurz, doch der Autor hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, vor allem unzählige Novellen. Er war ein wunderbarer Beobachter von Mensch und Natur. Aber durch nahezu sein ganzes Werk zieht sich eine gewisse Melancholie, ja Düsterheit, jedoch auch viel amüsiertes Wahrnehmen seiner Umgebung – bis hin zur Ironie. Man nannte ihn wegen seines eleganten anschaulich-beschreibenden Stils den „Impressionisten unter den Erzählern“. Großmeister wie Thomas Mann und Robert Walser haben seinen Erzählstil gerühmt. Im Französischunterricht gehört Maupassant heute noch zum Lektürekanon.

Nach diesen appetitanregenden Vorinformationen gab es zwei Kostproben dieser Erzählkunst. Die Novelle „Das Glück“ beginnt mit der Beschreibung einer Abendgesellschaft, die nach dem Essen den lauen Sommerabend auf der Terrasse einer Villa irgendwo an der Mittelmeerküste genießt. Gegenüber liegt die Insel Korsika, die auch plötzlich als riesige graue Masse aus dem Nebel auftaucht, was äußerst selten vorkommt. Das Gespräch plätschert dahin, bis man auf die Liebe zu sprechen kommt. Eine der Damen bezweifelt, dass es die ewige Liebe, das ewige Glück gibt, und einige der anderen Gäste pflichten ihr bei. Doch ein älterer Herr, der bis dahin geschwiegen hatte, ergreift das Wort und beginnt, die Geschichte eines Paares zu erzählen, dem er auf einer einsamen Wanderung in den Bergen Korsikas begegnet sei. Ein Paar, das in der Abgeschiedenheit eines kargen Bergdorfes das wahre Glück gefunden habe und dort seit 50 Jahren lebe.

Die Zuhörer im Max-Eyth-Haus staunten, dass der ausgewiesene Pessimist Maupassant mit seinem düsteren Menschenbild eine solche von materiellen Gütern losgelöste „ewige“ Liebe für möglich hält.

Die Neigung des Autors zum Humoristisch-Makabren kam in der zweiten Geschichte mit dem Titel „Eine List“ zum Tragen. Ein alter Arzt und seine junge, leicht unpässliche Patientin plaudern gemütlich am Kaminfeuer. Auch sie kommen auf die Liebe zu sprechen, und die junge Frau ereifert sich: Eine Frau könne nie ihren Mann betrügen, wenn sie ihn liebt. Er erwidert, dass gerade der Ehefrau durch das Eheleben der Weg zum Betrug geebnet werde. Und er erzählt ihr die Geschichte eines Seitensprungs, in den er verwickelt war, um eine junge Ehefrau aus einer misslichen Situation zu befreien. Der Liebhaber war während einer leidenschaftlichen Begegnung in ihrem Schlafzimmer plötzlich leblos in die Kissen gesunken, und ihr Ehemann konnte jeden Moment nach Hause kommen.

Es war eine kurze, aber gehaltvolle Lesung. Der Genuss wurde noch gesteigert durch die gestaltete, lebendige Textpräsentation. Rückblickend ist zu sagen, dass der „Literarische Weihnachtsmarkt“ des Literaturbeirats im Max-Eyth-Haus ein internationales „Warenangebot“ aus verschiedenen Epochen zu bieten hatte. Aus der deutschen Literatur mit Goethe, Kleist, Mörike, Thomas Mann und Frieda Henning, aus der englischen mit F. Scott Fitzgerald, aus der russischen mit Iwan Bunin und Iwan Turgenew, aus der französischen wie soeben ausgeführt.