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„Man wird den Kindern kaum gerecht“

Schulwesen Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert mehr Zeit für Lehrkräfte. Die müssten sich vermehrt um unterrichtsferne Themen kümmern und immer mehr Freizeit opfern. Von Thomas Zapp

Am Tag zuvor bei der GEW-Veranstaltung in Esslingen: Lehrer sagen, was sie brauchen.Foto: Peter Dietrich
Am Tag zuvor bei der GEW-Veranstaltung in Esslingen: Lehrer sagen, was sie brauchen.Foto: Peter Dietrich

Der Lehrkräftemangel an den öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg ist das beherrschende Thema auf der Personalversammlung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in der Kirchheimer Stadthalle gewesen. Nach Ansicht der Lehrer hat das viel mit fehlender Zeit zu tun und ungleicher Besoldung.

Denn besonders eklatant sei der Personalmangel im Bereich der Grund- und Hauptschulen, sagt David Warneck, GEW-Vorsitzender im Kreisverband Esslingen-Nürtingen. Im Schulamtsbezirk Nürtingen, zu dem auch die Kirchheimer Schulen gehören, seien 20 Rektoren und Konrektorenstellen unbesetzt. „Wer macht diesen Job an einer Grundschule, wenn er dafür 180 Euro im Monat mehr kriegt“, sagt David Warneck. Zumal je nach Größe der Schule oftmals Tätigkeiten einer Sekretärin oder eines Hausmeisters hinzukämen.

Die Grundschulen sind auch für die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz ein Sorgenkind. Gerade in Baden-Württemberg gebe es schon ein Problem beim Studium. „Sie haben hier zu wenig Studienplätze, daher gibt es einen hohen Numerus Clausus mit einer Eins vor dem Komma“, sagt sie. Die Folge: bundesweit gebe es den schlechtesten Koeffizienten zwischen Lehrer und Schüler. „Gleichzeitig gibt es an den Grundschulen mittlerweile einen Anteil von 46 Prozent mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg“, sagt sie. Es bestehe also viel Förderbedarf.

Die Forderungen der GEW an Kultusministerin Susanne Eisenmann hat Doro Moritz auf einem 10-Punkte-Papier mitgebracht. Zusammenfassen ließe sich das mit „Entlastung“ und „Entlohnung“ für die Lehrer. Entlastet werden sollen sie durch zusätzliche Stellen an den Schulen etwa für Sozialpädagogen oder Deutschlehrer für Kinder ausländischer Eltern. Auch fordert die GEW, alle Lehrämter mit akademischer Ausbildung dem höheren Dienst zuzuordnen, sodass Grundschullehrer auch die Besoldungsstufe A 13 bekommen. Dementsprechend solle die Regelstudienzeit für Grundschullehrer auf zehn Semester erhöht werden. „Das gibt die Gelegenheit, ein weiteres Fach zu studieren und später Ausfallstunden besser abdecken zu können“, meint David Warneck in Anspielung auf viele fachfremde Einsätze der Vertretungslehrer in der Sekundarstufe eins.

Doro Moritz, ehemalige Hauptschullehrerin und heutige Personalrätin im Kulturministerium, hat hohen Respekt vor der Leistung von Grundschullehrern. „Es erfordert eine hohe Kompetenz, wie man mit Lernfehlern von Kindern umgeht“, sagt sie. Gerade in dem Bereich fehlen die Fachkräfte. „Es gibt Untersuchungen, dass der Lehrerbedarf bis 2030 nicht gedeckelt werden kann“, sagt sie. Ähnlich sieht es bei den sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren aus.

Der Tenor der Gewerkschaften lautet: Die Attraktivität des Lehrerberufs hat gelitten und das Frustpotenzial unter den Lehrern ist gestiegen. Doro Moritz sieht die Gründe vor allem in den „Nebentätigkeiten“. „Die Arbeit außerhalb des Unterrichts ist immer mehr und unberechenbarer geworden“, sagt sie. Man werde den Kindern kaum noch gerecht. Mehr Schulberatungsgespräche, Elterngespräche, die einfach „on top“ kommen, nennt David Warneck als Beispiele. Die eigentliche Unterrichtsvorbereitung geschehe am Abend. „Ein Kollege hat erzählt, dass er für die Korrektur einer Deutschklausur 40 Stunden braucht, also eine Woche Arbeitszeit“, sagt Warneck. Das gehe zulasten der Gesundheit.

Die Anforderungen an Lehrer sind auch in anderen Bereichen gestiegen. Gerade in den Grund- und Hauptschulen würden viele Kinder mehr Probleme als früher von zu Hause in den Unterricht mitbringen, was besondere Betreuung notwendig mache. Dies sei auch ein gesellschaftliches Problem, viele Eltern seien heute überfordert, sagt Doro Moritz. Hinzu komme das veränderte Medienverhalten der Kinder und fehlende Ruhezeiten in den Familien, das führe zu massiven Konzentrationsmängeln.