Esslingen. Wenn Vertreter aller Fraktionen an einem Strang ziehen, dann muss die Lage ernst sein. Esslingens Landrat Heinz Eininger, ohnehin kein Freund langer Vorreden, kommt schnell zur Sache. Der Kreis liegt mit seinen Prognosen richtig. Kein Grund zur Kurskorrektur. Allerdings auch kein Grund zur Freude. Eher die Gewissheit, dass es kommt wie befürchtet: 3 900 Flüchtlinge, so die unveränderte Zahl, muss der Kreis Esslingen in diesem Jahr unterbringen. Ende April waren 1 713 Plätze belegt, 1 838 weitere werden zur Stunde gebaut oder sind in Planung. Die Erwartungen schwanken zwischen 200 und 240 Neuankömmlingen pro Monat, die laut Gesetz unterkommen müssen.
Nur 20 von 44 Kreisgemeinden bieten bisher Plätze an. Das soll sich ändern, doch die Suche nach geeignetem Wohnraum oder Bauplätzen gestaltet sich schwierig, obwohl es schnell gehen müsste. Wo Baugrund vorhanden ist, gibt es häufig Widerstand, wie zuletzt in Hochdorf. Oder Überraschungen bei der Ausschreibung wie in Unterensingen, wo Angebote plötzlich eine Viertelmillion Euro über der Kostenschätzung lagen und deshalb nun neu ausgeschrieben werden muss. Das alles kostet Zeit. Zeit, die man nicht hat. „Es gibt keine weiteren Spielräume“, sagt Heinz Eininger. „Wir steuern vermehrt auf Notunterkünfte zu.“
Der Landkreis Esslingen, einer der dicht besiedeltsten im Land, ist durch hohe Grundstücks- und Immobilienpreise bei der Unterbringung finanziell benachteiligt. Vier Millionen Euro, so groß war bisher die Finanzierungslücke zwischen Landeszuweisungen und tatsächlichen Kosten. Nachdem das Land vergangene Woche die Pauschale erhöht hat, werden es künftig immerhin noch 1,4 Millionen sein.
Trotzdem will der Landkreis zusätzliches Geld in eine bessere Betreuung der Flüchtlinge stecken und erhält dabei die politische Rückendeckung aller Fraktionen im Kreistag. Der Plan: Acht neue Koordinationsstellen in den Städten und Gemeinden sollen die Hilfsangebote von ehrenamtlichen Asyl-Arbeitskreisen und Flüchtlingsinitiativen bündeln. Indem Besonderheiten vor Ort stärker berücksichtigt werden, verspricht sich der Kreis davon mehr Effizienz. Drei Viertel der Personalkosten dafür sollen bis Ende 2019 aus der Kreiskasse bezahlt werden. Kostenpunkt: 140 000 Euro in diesem Jahr, 270 000 Euro in den vier folgenden. Ob die Kommunen diese Aufgabe selbst übernehmen oder sich die Dienste freier Träger sichern, bleibt ihnen selbst überlassen. Unterstützung sollen diese Stellen von einer übergeordneten Arbeitsgemeinschaft erhalten, die sich einmal im Monat trifft. Einem 15-köpfigen Gremium, dem Vertreter von Kirchen, Kreisverwaltung, freien Trägern, aber auch ausgewählte Flüchtlinge angehören sollen. Mit einem solchen „Flüchtlingsrat“ sieht sich der Kreis landesweit in der Vorreiterrolle. Eininger: „Mir wäre nicht bekannt, dass es andernorts so etwas schon gibt.“
Am meisten Geld steckt der Kreis in die Verbesserung der sozialen Betreuung in den Unterkünften, die federführend von der Arbeiter-Wohlfahrt (AWO) übernommen wird. Bisher kam dort eine Betreuungskraft auf 140 Flüchtlinge. Künftig sollen es nur noch hundert sein. Die Kosten für das zusätzliche Personal belaufen sich auf 600 000 Euro jährlich. Geld, das sich der Kreis vom Land zurückholen will. „Wenn wir nicht wollen, dass sich der soziale Druck irgendwann entlädt“, sagt Eininger, „brauchen wir eine bessere Betreuung.“
Das sieht auch Jutta Woditsch so, die für die AWO die Hilfe für 416 Flüchtlinge an drei Standorten in Kirchheim organisiert. „Wir haben bisher getan, was wir konnten, doch die Zeit war immer zu knapp“, sagt sie. Die Änderung des Betreuungsschlüssels stellt in Kirchheim nun eine zusätzliche Stelle in Aussicht. „Damit können wir uns in allen Bereichen intensiver um die Menschen kümmern.“