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Messerangriff zeigt noch Nachwirkungen

Messerangriff Drei Monate ist die Attacke auf Studenten im Wohnheim Schelmenwasen her. Gegen die Täter ist nun Anklage erhoben worden. Die Bewohner versuchen derweil das Erlebte zu verarbeiten. Von Matthäus Klemke

Am Braike-Campus der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt ist der Uni-Alltag eingekehrt. „Viel wird nicht mehr über die Attacke gesprochen“, sagt Bibiana Guerrero Alcaraz. Die 24-jährige gebürtige Mexikanerin ist für ihr Studium nach Nürtingen gekommen und lebt in dem Studentenwohnheim am Schelmenwasen.

Als am 5. November vergangenen Jahres gegen 1 Uhr nachts drei Heimbewohner mit einem Messer angegriffen werden, ist die Studentin in ihrem Zimmer. „Ich bin an diesem Abend früh schlafen gegangen. Dann habe ich die Schreie auf dem Flur gehört.“ Die Opfer sind 19, 22 und 26 Jahre alt. Während die beiden älteren Männer nach kurzer Zeit die Klinik wieder verlassen können, wird der 19-Jährige lebensgefährlich verletzt. „Mittlerweile wohnt er aber wieder in dem Studentenwohnheim und möchte sein Studium hier in Nürtingen zu Ende bringen“, sagt Alcaraz.

Angst vor weiteren Angriffen

Selbst für diejenigen Bewohner, die die Tat nicht direkt mitbekommen haben, sei ein Zurück zum Alltag schwierig gewesen, erinnert sie sich. „Es gab einige Leute, die nicht mehr in dem Wohnheim bleiben wollten.“ Zu groß sei die Angst vor weiteren Übergriffen gewesen. „In dem Wohnheim leben sehr viele ausländische Studenten. Wir dachten alle, der Angriff hätte einen fremdenfeindlichen Hintergrund“, sagt Alcaraz. Sie selbst habe überlegt auszuziehen. „Aber eine Wohnung zu finden ist hier nun mal nicht einfach.“

Die Hochschule reagierte und richtete regelmäßige Gesprächsangebote für die Bewohner ein. Die zurückgehenden Teilnehmerzahlen sind ein gutes Zeichen, sagt Uni-Sprecher Gerhard Schmücker: „Anfangs waren es zwischen 70 und 80 Leute. Zuletzt waren noch rund zehn dabei.“

Der mutmaßliche Haupttäter – zur Tatzeit 19 Jahre alt – soll nach einem verbalen Streit auf seine Opfer eingestochen haben. Er und sein damals 22-jähriger Begleiter seien nicht das erste Mal in das Gebäude eingedrungen. „Sie haben einige Tage vor dem Vorfall schon Ärger gemacht“, erinnert sich auch Bibiana Guerrero Alcaraz.

Nicht zuletzt deswegen wurden Stimmen nach mehr Sicherheitsvorkehrungen in dem Gebäude laut. Nach der Tat setzte das Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim (Stuwe) einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst auf dem Gelände ein. Mittlerweile habe man weitere Vorkehrungen getroffen. So sei die Beleuchtung verbessert worden. „Rund um das Wohnheim wurden stärkere Leuchtmittel und zusätzliche Bewegungsmelder installiert“, sagt Philipp Mang, Sprecher des Studierendenwerks. Zudem wurden Sträucher und kleinere Bäume vor dem Wohnheim entfernt. Dadurch habe man eine freie Sicht auf den Fußweg, der zum Eingang führt. Außerdem wurden die Schließzeiten des Gebäudes „ausgedehnt“. Besonders die zusätzliche Beleuchtung sei für das Sicherheitsgefühl wichtig, sagt Bibiana Guerrero Alcaraz. „Früher war es vor der Eingangstür so dunkel, dass man nicht einmal seinen eigenen Schlüssel in der Tasche finden konnte.“

Laut Stuwe-Sprecher Mang wird derzeit daran gearbeitet, die Kommunikation zwischen Hochschule und Polizei zu verbessern: „In diesem Zusammenhang sind wir gerade dabei, gemeinsam mit Polizei und Hochschule die Kommunikationsketten zu überprüfen, um zukünftig besser auf solche schweren Notfälle reagieren zu können.“

Für einige Studenten geht das nicht weit genug: „Es gibt Leute, die sich Sicherheitskameras in dem Gebäude wünschen“, sagt Bibiana Guerrero Alcaraz. „So etwas kenne ich eigentlich nur aus meiner Heimat Mexiko.“ Der Wunsch nach Überwachungskameras wurde auch an die Hochschule herangetragen, bestätigt HfWU-Sprecher Schmücker. Dies sei rechtlich aber nur schwer umzusetzen.

Gerüchte, nach denen die beiden Männer ins Wohnheim eindringen konnten, weil die Türen defekt waren, bestätigten sich nicht. „Die Türen waren und sind zum jetzigen Zeitpunkt voll funktions- und schließfähig“, so Stuwe-Sprecher Mang.

Das Motiv der Tat ist weiterhin unklar. Bewohner berichteten, der Angreifer und dessen Begleiter seien uneingeladen auf einer WG-Party aufgetaucht. Laut Polizei soll es einen Streit um die Lautstärke gegeben haben. Fakt ist, dass man in der Vergangenheit zu leichtsinnig gewesen ist, sagt Alcaraz. „Jeder wurde reingelassen. Egal, ob man denjenigen kannte oder nicht.“ Manchmal sei sogar ein Stein vor die Tür gelegt worden, um sie offen zu halten. Das habe sich mittlerweile geändert. „Die Leute sind viel vorsichtiger geworden. Niemand macht mehr einfach so die Tür auf.“ Der mittlerweile 20-jährige Haupttäter konnte noch in der Tatnacht festgenommen werden. Gegen ihn wurde mittlerweile Anklage erhoben. Auch gegen seinen heute 23-jährigen Begleiter läuft das Verfahren.