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Morscher Baum erschlägt Hund

Tod im Talwald: Boxer Aaron und die Debatte um die Verkehrssicherungspflicht

"Baumpflege" und "Verkehrssicherungspflicht" – das sind zwei Worte, die derzeit in und um Kirchheim heftige Emotionen auslösen können. Viele Menschen sind entsetzt über "Kahlschläge". Im Februar kam es aber zu einem "Fall", der auf ganz andere Art für Entsetzen gesorgt hat: Ein Hund wurde an den Bürgerseen von einem morschen Baum erschlagen.

So herrlich ein ausgedehnter Waldspaziergang für Hund und Mensch auch sein mag, gilt doch - zumindest für die Menschen -, dass s

So herrlich ein ausgedehnter Waldspaziergang für Hund und Mensch auch sein mag, gilt doch, zumindest für die Menschen, dass sie mit den "typischen Gefahren" im Wald zu rechnen haben. Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Familie Filip aus Lindorf steht noch immer unter Schock – zwei Wochen nach dem Unglück. "Mein Vater ist mit Aaron an den Bürgerseen spazieren gegangen", berichtet Christian Filip am Telefon. "Dann ist ein Baum umgefallen und hat den Hund erschlagen." An der Stelle im Talwald seien viele Menschen unterwegs. Nicht auszudenken, wenn der Baum gar ein Menschenleben gefordert hätte. "Es war ein morscher Baum, der keinen einzigen Ast mehr hatte", meint Christian Filip, fügt aber noch eine Besonderheit an, die erst recht nachdenklich macht: "Es war gar nicht windig an dem Tag."

Die ganze Familie fragt sich seitdem, wie es passieren kann, dass Bäume so dicht am Weg stehen bleiben können, bis sie von selbst umfallen – und das auch noch, ohne dass Orkanböen toben. Für den Boxer Aaron, der eigentlich nur leihweise bei Filips in Lindorf untergebracht war, kommt diese Frage natürlich zu spät. Aber trotzdem drängt sie sich auf, weil dieser Baum auch für Menschen – und beileibe nicht nur für Kinder – eine Lebensgefahr hätte darstellen können.

Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer ist sich dieser grundsätzlichen Gefahr durchaus bewusst. Deshalb verweist er auch auf die regelmäßigen Kontrollen der Bäume – sowohl im Stadtgebiet als auch im Wald. Je nach Art des Gebiets gälten unterschiedliche Sorgfaltspflichten. Entlang von Straßen und Wegen oder in einem Park hat die Verkehrssicherungspflicht noch einen weitaus höheren Stellenwert als irgendwo mitten im Wald, abseits von Wegen oder öffentlichen Grillplätzen.

Bei der Stadt Kirchheim gebe es ein regelrechtes Expertengespann: einen städtischen Mitarbeiter, der die Bäume nicht nur in Augenschein nimmt, sondern sie auch noch endoskopisch untersucht. Auf diese Art und Weise lassen sich Schäden feststellen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Außer technischem Gerät kommt noch ein zusätzlicher Spürsinn zum Einsatz. Diesen wiederum stellt ein tierischer Gefährte des menschlichen Baumexperten zur Verfügung – ein Hund. Der kann 18 verschiedene Pilzarten erschnüffeln, bei denen es sich samt und sonders um Baumschädlinge handelt.

Wo Schäden festgestellt sind und folglich Gefahr im Verzug ist, müsse so schnell wie möglich gehandelt werden, betont Günter Riemer: "Das wird im Moment eben besonders sichtbar, weil wir gestiegene Anforderungen haben. In der Folge von Unfällen hat uns die Rechtsprechung stärker in die Pflicht genommen." Gestiegen seien die Unfallzahlen und damit auch der gesetzliche Druck unter anderem dadurch, dass sich die "Starkwindereignisse" innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt hätten. Riemer stellt sich in diesem Fall voll und ganz vor seine Mitarbeiter: "Ich will sie nicht der Gefahr aussetzen, dass irgendwann die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt."

Der Begriff "Verkehrssicherungspflicht" bezieht sich nicht nur auf den Straßenverkehr, betont Günter Riemer. Selbst Uferböschungen am Bach werden mitunter von Spaziergängern aufgesucht, weswegen oft auch an weniger zugänglichen Stellen Bäume gefällt werden müssen. Einige der Baumstämme, die beispielsweise gerade in der Jesinger Halde liegen, zeigen deutlich, wie hohl viele Bäume sind. Wenn sich darunter auch "gesunde" Bäume befinden, hat das unter anderem mit der Arbeitsökonomie zu tun. Die Stadt kann nicht an jeder Ecke jedes Jahr nur die gänzlich hinfälligen Bäume fällen lassen.

Dasselbe gilt für den Wald, auch für den städtischen. Einziger Unterschied: In diesem Fall ist die Forstverwaltung zuständig, die Bäume regelmäßig auf ihre Standsicherheit zu überprüfen und sie gegebenenfalls zu fällen. Außerdem gebe es im Wald das "freie Betretungsrecht“. Jeder dürfe sich im Wald aufhalten, sofern nichts eingezäunt ist. Dafür nehme aber auch jeder, der den Wald betritt, die "typischen Gefahren" in Kauf, die dort auftreten können.

Auch da gibt es eine Ausnahme: Werden die Menschen mit speziellen Angeboten wie Grillplätzen oder auch Lehr- und Sportpfaden in den Wald gelockt, gelten wieder strengere Regeln der Verkehrssicherungspflicht. Die Beschilderung der Trimm-dich-Pfade ist also nicht nur deshalb verschwunden, weil sie längst schon in die Jahre gekommen war, sondern auch aus einem andere Grund: Ohne die Schilder erfolgt das Joggen oder Walken auf die eigene Gefahr hin, dass ein Baum umfallen könnte.

Gefahren im Wald.  Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Wie kann es passieren, dass Bäume so dicht am Weg stehen bleiben können, bis sie von selbst umfallen? Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques