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Münzlos unglücklich

Selbstversuch: Wie realistisch ist ein Leben ohne Bargeld in Kirchheim?

Die Scheine stecken im Sparschwein, die letzten Münzen purzeln aus dem Portemonnaie. Das Experiment beginnt: Drei Tage bargeldlos in Kirchheim – kann das gutgehen?

Nicht überall in Kirchheim kann man mit Karte zahlen.Foto: Carsten Riedl
Nicht überall in Kirchheim kann man mit Karte zahlen.Foto: Carsten Riedl

Kirchheim. In der Republik tobt eine wilde Debatte um ein münzloses Dasein. In Ländern wie Schweden sind Barzahler schon längst die Exoten. Die Deutschen zahlen immer noch in nur etwa zwei von zehn Fällen mit Karte, wehren sich standhaft gegen die Bargeldgrenze – und gelten wiederum in Europa als Exoten. Dabei lautet die eigentliche Frage doch: Wie weit kommt man derzeit in einer mittelgroßen, deutschen Stadt überhaupt, ohne einen Groschen in der Tasche zu haben?

Das Experiment beginnt abends, sehr harmlos, im Kirchheimer Restaurant Wilder Mann. Aus Angst, den Abend am Ende tellerspülend in der Küche zu verbringen, erkundige ich mich lieber gleich zu Anfang über die Möglichkeiten der Kartenzahlung: Kein Problem, sagt die Kellnerin. Allerdings erst bei 20 Euro Rechnung aufwärts. Für ein Feierabendbier ist das nicht die richtige Adresse. Wer kleingeldlos hierherkommt, muss richtig zuschlagen – oder eine Runde Flammkuchen schmeißen.

Noch halb verschlafen und doppelt kaffeedurstig folgt am nächsten Morgen der gewohnte Abstecher ins Café Mayer. Die süßen Stückle riechen schon beim Reinkommen verlockend. Auf ein zweifelndes „Kann ich mit Karte zahlen?“ entgegnet die Frau an der Theke nur ein mitfühlendes Kopfschütteln. Ich muss mich also mit knurrendem Magen auf den Weg zur Arbeit machen.

Und als wäre das nicht schlimm genug, erreicht mich kaum am Schreibtisch angekommen die nächste Schreckenserkenntnis: Auch der Getränkeautomat in der Redaktion schluckt nur Münzen. Zum Glück liegt noch ein Notgroschen in der Schublade. Erste Ausnahme. Memo an mich selbst: Unvorbereitet läuft bargeldlos nichts.

Immerhin schafft der VVS etwas Erleichterung. Die neue Monatskarte kann ich sowohl am Schalter als auch am Automaten mit Karte bezahlen. Für Fahrten außerhalb der Zonengrenze ist das Smartphone schnell zur Hand. In der App werden die Ticketpreise direkt vom Konto abgebucht. Das nervenraubende Anstehen am Automaten kann man sich sparen – und das Kleingeld im Portemonnaie auch.

In der Mittagspause geht bei der Suche nach einem Pausensnack schnell die Lust verloren: Sämtliche Bäckereien fallen weg, beim Dönerladen hat man keine Chance, das Fischbrötchen mit der Girocard zu bezahlen kann man vergessen. Selbst einen Asiaten zu finden, ist schwierig. Die restlichen Möglichkeiten lassen sich an einer Hand abzählen: Mittagstisch im Restaurant essen, mit seinem hungrigen Magen leben oder zu Hause kochen – für viele Leute ist nichts davon eine annehmbare Dauerlösung. Ich entscheide mich für Letzteres.

Abends steht dringender denn je der Wocheneinkauf bei Marktkauf an. Nach der längeren Durststrecke scheint der Supermarkt ein Eldorado für Kartenzahler zu sein. Dass ich hier mit meiner Girocard nicht auf verwunderte Blicke stoßen werde, ist klar – wie in den meisten deutschen Supermärkten. Ich habe aus den Fehlern der letzten Tage gelernt: Morgen will ich besser vorbereitet sein. Beim Bummeln durch die Gänge hamstere ich eine Sache nach der anderen: frische Milch für den selbst gebrühten Morgenkaffee, massenhaft Nudelware für ein schnelles Mittagsessen daheim. Selbst die frischen Brötchen vom Bäcker müssen schließlich abgepacktem Brot weichen. Mein Einkaufskorb ist voller denn je.

Am nächsten Tag scheint mir die Sonne schon beim Aufstehen ins Gesicht. Wo jetzt endlich Frühlingsgefühle angesagt sind, kann man sich das Eisessen kaum entgehen lassen. Ich mache mich also frohen Mutes auf den Weg ins Eiscafé Venezia – im Kopf schon die wildesten Fantasien von Sortenkombinationen und Sahnebergen. Als ich frage, ob ich mit Karte zahlen kann, schaut mich die Bedienung verdutzt an: „Mehr Sahne?“ – „Nein, mit Karte.“– „Ah, con la carta? Nein, das geht leider nicht.“ Schade.

Auch ein Bummel über den Kirchheimer Wochenmarkt darf an so einem Tag nicht fehlen. Die bunten Blumensträuße strahlen schon von Weitem. Auf dem Markt mit Karte zahlen? Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Auf Nachfrage schüttelt die Blumenverkäuferin nur den Kopf. „Für Kleinbetriebe wie mich sind die Kosten für die Geräte viel zu hoch“, erklärt sie. Und auch die Nachfrage fehlt. Tatsächlich war ich die Erste, die überhaupt danach fragt. Am Gemüsestand nebenan scheint „Girocard“ ein Fremdwort zu sein: „Nur Bares ist Wahres“, sagt ein Verkäufer lachend. Diese Erkenntnis habe ich inzwischen auch gewonnen.

Fazit: Ein münzloses Dasein in Kirchheim ist kein Abenteuer, sondern vor allem eines: langweilig. Klamotten, CDs oder Bücher besorgen ist nirgends ein Problem. Wer aber ohne Bargeld durch den einfachen Alltag kommen will, muss den Tag akribisch durchplanen. Spontaneität? Fehlanzeige. Auf die schönen, kleinen Dinge muss man verzichten lernen. Die Frage ist nur: Wofür eigentlich?