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Nachwirkungen von Corona: Fremd im eigenen Körper

Corona Anja P. aus Dettingen leidet seit mehr als drei Monaten an den Spätfolgen ihrer Covid-Erkrankung. Seitdem bestimmen Ungewissheit und Verzweiflung den Alltag der 33-jährigen Mutter. Von Bernd Köble

Wenn in Zusammenhang mit Corona von Risikogruppen die Rede ist, dann will sie so gar nicht ins Bild passen. Zumindest nicht in das, das die meis- ten sich in solchen Momenten zurechtlegen. Anja P. ist 33 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Knirpse im Kindergartenalter. Bis Ende Januar ist die junge Frau aus Dettingen kerngesund. Alles beginnt damit, dass ihr Mann das Virus von der Arbeit nach Hause schleppt. Nach drei Tagen mit leichten Erkältungssymptomen ist die Sache für ihn ausgestanden. Für Anja P. ist es der Beginn einer Leidenszeit, die bis heute andauert.

Zwischen dem vagen Gefühl „mit mir stimmt etwas nicht“, bis sie ihr Hausarzt in die Klinik überweist, liegen vier Wochen. Ein Zeitraum, in dem sich ihr Zustand zunehmend verschlechtert. Kopf- und Gelenkschmerzen, Atemnot, Gewichtsverlust - die Frau mit den schulterlangen blonden Haaren wird drei Tage isoliert, danach auf die Normalstation verlegt und schließlich entlassen. Diagnose: Post-Covid-Syndrom, auch wenn zurzeit keiner weiß, was genau das eigentlich bedeutet. Seitdem kämpft Anja P. mit dem Alltag und - was noch schlimmer ist - mit Selbstvorwürfen und der ständigen Furcht, nicht ernstgenommen zu werden. „Man sieht mir meine Krankheit ja nicht an“, sagt die 33-Jährige, die sich mit dem Gedanken quält, sie könnte ihren Kindern eine schlechte Mutter sein. Die Familie hält zusammen und auch die Nachbarn helfen, wo immer es geht. Ihr Mann nimmt unbezahlten Urlaub. Die Eltern kümmern sich um die Enkelkinder, während sie am hellichten Tag im Tiefschlaf versinkt. Eine bleierne Müdigkeit legt sich wie ein langer Schatten über ihre Tage. Tage, von denen es bessere und schlechtere gibt, wie sie sagt. Gute gibt es keine.

Seit dem 28. Januar kämpft ihr Körper mit erhöhter Temperatur. Sie leidet unter Gliederschmerzen und schläft nachts kaum, weil ihr Puls rast. Sie ist todmüde und kommt trotzdem nicht zur Ruhe. Seit zwei Wochen traut sie sich kaum mehr unter die Dusche, weil ihr die Haare plötzlich ausgehen. Sie kann sich nicht konzentrieren, findet ihr Portemonnaie in der Tiefkühltruhe, den Zucker im Kühlschrank. Inzwischen spielt sie mit dem Gedanken, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Ich bin nicht mehr ich.“

Mediziner sind ratlos. Sie brauche Geduld, heißt es. Wie lange, vermag niemand zu sagen. Auch nicht, welche Langzeitschäden ihr drohen. Vor der Geburt der Kinder hatte Anja P. einen gut bezahlten Job als Assistentin der Geschäftsleitung. Im Sommer wagte sie in einem kleineren Unternehmen den Schritt zurück ins Berufsleben - sechs Monate vor ihrer Erkrankung. Jetzt ist an Arbeit nicht zu denken. Erst vor Kurzem lief sie bei einem der seltenen Sonntags-Spaziergänge mit der Familie ihrem Arbeitgeber über den Weg. Ein bedrückender Moment. Sie hat Angst um ihren Job, Angst, falsch wahrgenommen zu werden, dass es nie wieder so werden könnte wie zuvor.

Hilfe findet Anja P. online im Netz. Sie tauscht sich in sozialen Medien mit Leidensgefährten aus, und stellt erstmals fest, wie zahlreich die sind. „Zu sehen, dass man nicht allein ist, tut gut“, sagt sie. „Aber irgendwie ist es auch beängstigend.“ Nachrichten über Menschen, die sich auf Querdenker-Demos versammeln und die Gefahr leugnen, verfolgt sie schon lange nicht mehr. „Ich ver- stehe diese Leute nicht“, sagt Anja P. „Jeder sollte wissen: Diese Krankheit ist absolut teuflisch.“