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Nichts zu meckern?

Produkte aus Ziegenmilch erleben eine Renaissance, während Ziegenfleisch verschmäht wird

Die Ziege ist ein altbekanntes Haustier. Anderswo gilt ihr Fleisch als Festmahl, hierzulande wird es allerdings stark unterschätzt. Dabei ist es mager, bekömmlich und äußerst schmackhaft. Während der Markt für Milchprodukte von Ziegen auch in der Teckregion in den vergangenen Jahren gewachsen ist, findet ihr Fleisch beim Verbraucher keinen großen Anklang.

Ziegenfleisch ist ein Produkt, das viele Verbraucher unterschätzen. Familie Hepperle unterhält auf ihrem Ziegenhof in Kirchheim
Ziegenfleisch ist ein Produkt, das viele Verbraucher unterschätzen. Familie Hepperle unterhält auf ihrem Ziegenhof in Kirchheim einen Bio-Drive-in. Zu haben sind dort Molkereiprodukte aus Ziegenmilch, Ziegenfleisch und andere Biowaren.Fotos: Daniela Haußmann

Kirchheim. Im März 2013 zählte das Statistische Bundesamt in Baden-Württemberg 2 500 landwirtschaftliche Erwerbsbetriebe, die zusammen einen Ziegenbestand von 26 700 Tieren aufwiesen. Hinzu kommen nochmals so viele Ziegen von Freizeithaltern und Hobbyzüchtern, sodass der gesamte baden-württembergische Ziegenbestand etwa 50 000 Tiere beträgt.

Rund 57 Prozent aller in Deutschland gehaltenen Ziegen entfallen auf Baden-Württemberg und Bayern. Während die ökologische Ziegenmilchproduktion in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat, stellt die Vermarktung der in der Zucht anfallenden Jungtiere laut Dr. Ulrich Jaudas ein Problem dar – und das obwohl Ziegenfleisch eine wertvolle und attraktive Alternative zu anderen Fleischsorten darstellt, wie der Agraringenieur aus Schlattstall betont.

Doch diese Botschaft ist beim Konsumenten noch längt nicht angekommen. Und das trotz des Trends zu Regionalität, zu gesunder Ernährung, der steigenden Nachfrage nach Bioprodukten oder der Kritik an der Massentierhaltung, in der das Fleisch quasi in Fabriken wächst. Entscheidend ist für die Mehrzahl der Verbraucher immer noch der Preis und weniger die Antwort auf die Frage, welche Nahrungsmittel aufgrund ihrer Produktionsbedingungen der eigenen Gesundheit zuträglich sind. „Tiere, die im Freiland grasen und Heu bekommen, weisen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge einen hohen Anteil an wertvollen ungesättigten Fettsäuren auf“, sagt Ulrich Jaudas. „Unterm Strich bedeutet das, dass der Verbraucher gesünder lebt, wenn er in der Ernährung zum Fleisch von Weidetieren greift.“ Allerdings verhalte sich der Konsument hier anders als er propagiert.

Caroline Hepperle aus Kirchheim kennt das aus eigener Erfahrung. Die Züchterin verlangt pro Kilo Ziegenfleisch 18,50 Euro – also ein vielfaches von dem, was beispielsweise die gleiche Menge Schweinefleisch kostet. „Im Direktverkauf haben wir Kunden, die bereit sind, tiefer in die Tasche zu greifen, weil sie Fleisch aus artgerechter und ökologischer Haltung bevorzugen“, ergänzt die Züchterin. „Aber vielen ist ein Kilopreis von 18,50 Euro zu teuer, obwohl wir in der Vollkostenrechnung selbst bei diesem Preis noch drauflegen.“ Folglich wird das Ziegenfleisch über die Milch subventioniert. Für Milch, aber auch die große Menge unterschiedlicher Käsesorten, die sich aus ihr herstellen lassen, verzeichnen Caroline und Hartmut Hepperle eine sehr gute Nachfrage.

„Aber die Kitze sind damit eher ein Abfallprodukt“, so die Züchterin. „Mancher Betrieb ist deshalb froh, wenn er es selbst zu einem geringen Preis, irgendwie mit dem Laster vom Hof bekommt.“ Denn einerseits ist eine Aufzucht in extensiver Haltung kosten-, arbeits- und zeitintensiv; andererseits stehen die Jungtiere streng genommen mit dem Landwirt im Wettbewerb um die Milch. Trotzdem kommt für die Familie Hepperle aus Respekt und Wertschätzung vor dem Tier eine Änderung ihrer Wirtschaftsweise nicht infrage. Zu ihr gehört auch die Überzeugung, dass jedes Schlachttier eigentlich von der Schnauze bis zum Schwanz verwertet werden müsste. Realisierbar sei das allerdings nicht, weil der Konsument auf Premiumstücke wie Filet, Rücken und Keule fixiert sei.

Darüber hinaus hält sich in vielen Köpfen laut Caroline Hepperle hartnäckig das Vorurteil, dass Ziegenfleisch streng schmeckt oder gar stinkt. „Das trifft aber absolut nicht zu“, wie die Züchterin aus Kirchheim klarstellt. „Es hat einen mildaromatischen Geschmack, und das gilt für junge wie auch ältere Schlachttiere.“

Nichts zu meckern?
Nichts zu meckern?

Die Kuh des kleinen Mannes

Laut Ulrich Jaudas herrscht beim Konsumenten oft die Meinung vor, dass weißes beziehungsweise helles Fleisch ein Qualitätsmerkmal ist. Doch das sei mitnichten so. „Vielmehr ist es ein Zeichen dafür, dass es von Tieren ohne Freilaufhaltung stammt“, sagt der Experte. „Weidetiere haben eben ein besser durchblutetes Muskelfleisch, weshalb es dunkler und aromatischer ist.“ Für Jaudas ist daher schnell erklärt, dass beispielsweise helles Hühnerfleisch ein Zeichen für sehr intensive Tierhaltung darstellt. „Denn das Fleisch freilaufender Hühner ist ebenfalls dunkler, da besser durchblutet.“ Und da müsse sich der Verbraucher bei allen Überlegungen zum Thema nachhaltige und gesunde Ernährung eben fragen, ob er ein solches Industrieprodukt einkaufen will oder ein Stück Fleisch, das aus artgerechter und ökologischer Tierhaltung stammt. Caroline Hepperle aus Kirchheim zufolge wissen viele nicht mehr, was sich in der Küche aus Ziegenfleisch alles auf den Teller zaubern lässt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stellte die Ziege die Kuh des kleinen Mannes dar. Doch heute haben etliche den Bezug zu diesem Tier verloren, wenn es um seinen Verzehr geht, wie Caroline Hepperle feststellt hat. „In der Direktvermarktung auf dem Hof oder dem Kirchheimer Markt geben wir unseren Kunden deshalb Rezepte an die Hand und verkaufen die Stücke küchenfertig“, berichtet Caroline Hepperle. „Die meisten sind begeistert und greifen immer wieder auf das Produkt zurück.“ Unter dem Strich findet es Caroline Hepperle schade, dass sich die Mehrheit der Konsumenten besser mit ihrem Auto auskennt, als mit dem, was sie isst.dh