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Nicole Razavi: „Den Häuslebauer wird es weiter geben“

Neuordnung Das Ministerium von Nicole Razavi (CDU) ist noch im Aufbau. Im Wohnungsbau setzt sie auf Innenentwicklung. Von Jürgen Schäfer

Vor einem Jahr ist sie ins Amt gekommen: Nicole Razavi, CDU-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Geislingen, ist die erste Ministerin im neuen Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen. Was sind die Themen für die Zukunft?

Frau Razavi, wie groß ist Ihr Stab?

Nicole Razavi: Wir sind ein schlankes Ministerium, teilen uns verwaltungsinterne Dienste mit dem Wirtschaftsministerium. Im Endausbau wird mein Ministerium circa 150 Personalstellen haben. Angesichts der komplexen Aufgaben kommt es mir auf Effizienz an. 

Was ist das: Landesentwicklung?

Razavi: Ein echtes Megathema und eine unserer zentralen Aufgaben. Wir wollen die Weichen stellen, dass sich das Land positiv entwickelt. Deshalb schreiben wir einen neuen Landesentwicklungsplan, der alte ist rund 20 Jahre alt und entspricht in vielen Teilen nicht mehr der Lebenswirklichkeit. Es geht darum, einen angemessenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Nutzungsinteressen für Flächen zu schaffen – wie etwa Wohnen, Gewerbe, Industrie, Mobilität oder Erneuerbare Energien. Das ist ein sehr wichtiges Großprojekt, das wir beherzt angehen.

Sie begrüßen es, dass die Weilheimer mit 70 Prozent für das Gewerbe­gebiet gestimmt haben, das zur Hälfte mit einer Daimler- und Volvo-Tochter für Wasserstofftechnologie für Lkw belegt werden soll. 

Wir brauchen als Wirtschaftsstandort Zukunft. Dazu brauchen wir Flächen für Zukunftsfirmen. Diese Erkenntnis muss sich wieder durchsetzen. Dass zahlreiche interkommunale Gewerbegebiete im Landkreis Göppingen abgelehnt wurden und weitere geplante auf der Kippe stehen, ist eine gefährliche Entwicklung. Ich wünsche mir die Einsicht, dass wir auch in Zukunft Arbeitsplätze brauchen in neuen Industrien, um unseren Wohlstand zu sichern. Und diese neuen Industrien gehen in aller Regel nicht mehr einher mit stinkenden und lärmenden Anlagen. Was bei uns nicht entwickelt wird, entsteht woanders. Wollen wir das? 

Zum Kerngebiet Ihres Ministeriums, Wohnbau. Wie groß ist der Bedarf?

Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage der Zeit, und der Bedarf ist überall groß. Darauf müssen wir Antworten finden. Wir können es uns nicht leisten, dass gut ausgebildete Fachkräfte weggehen, weil sie keine Wohnung finden. Dieses Problem stellt sich mittlerweile auch auf der Alb. Konkret und landesweit lässt sich der Bedarf schwer ermitteln. Vor Jahren gab es mal die Empfehlung: Im Land sollten pro Jahr 43 500 neue Wohnungen gebaut werden. Nach neuesten Angaben der Bauwirtschaft wurden im vergangenen Jahr rund 37 000 neue Wohnungen im Land fertiggestellt. Es gibt noch viel zu tun. Wir müssen vor allem auch den Bestand sanieren. 

Der große Motor für den Wohn­­bedarf war immer: Jeder will mehr Wohnraum. Ein Gemeinderat in Hattenhofen hat festgestellt: Vor 30 Jahren hatte das Dorf 3000 Einwohner. Heute sind es auch nicht mehr, obwohl einiges gebaut wurde.

Ich will niemandem vorschreiben, wie er zu wohnen hat. Aber das stimmt: Laut Zahlen des Statistischen Landesamts ist die Wohnfläche je Einwohner in Baden-Würt­temberg von 1986 bis 2011 um rund zehn Quadratmeter auf 46 Quadratmeter gestiegen. Wir müssen auch hier sicherlich umdenken.

Bleibt noch der Zuzug, das leichte Bevölkerungswachstum, als weiterer Grund für Wohnbedarf. 

Ich bin froh, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine, die zu uns kommen, privat aufgenommen werden und viele Leute leerstehende Wohnungen zur Verfügung stellen. Was aber nicht passieren darf: dass die Schwächsten der Gesellschaft durch neuen Wohnbedarf an den Rand gedrängt und gegeneinander ausgespielt werden. Es darf nicht zu einer Verdrängung kommen. Deshalb wollen wir bei der Wohnungsbauförderung eine Schippe drauflegen, und zwar für alle.

Wie ist es mit leerstehenden Wohnungen? Und mit dem Potenzial an Wohnraum, das in Dörfern und Städten schlummert? Alte Bauernhäuser? „Enkelesbauplätze“? 

Jede Wohnung zählt. Wir lernen jetzt, dass die Leerstände deutlich größer sind als bisher bekannt.  Das ist eine gute Nachricht. Deshalb geben wir Anreize, dass die Menschen Wohnraum schaffen. Dass sie Gebäude und Flächen aktivieren. Die Devise heißt: Innen- vor Außenbereich. Allerdings muss dieses Potenzial an Wohnungen auch aktiviert werden. 

Was können Sie dafür tun? 

Wichtig ist zum Beispiel die Städtebauförderung, eines unserer stärksten Pferde im Stall. Mithilfe dieses Programms können Städte und Gemeinden nicht nur ganze Quartiere im Innenbereich sanieren. Es schafft auch Wohnraum mitten im Ort und trägt zu lebenswertem Umfeld in den Dörfern bei. 

Das gibt es immer schon. – Eine große Leistung des Staates, dass die Dörfer und Städte nicht sozial veröden. Aber wie ist es mit den alten Bauernhäusern, die davon nicht erfasst sind? Können Sie da nichts mit Zuschüssen anschieben? 

Das können wir dann, wenn das Bauernhaus in einem Sanierungsgebiet liegt oder für sozialen Wohnungsbau genutzt werden soll. Für den sozialen Wohnungsbau haben wir dieses Jahr die Rekordsumme von 377 Millionen Euro zur Verfügung. Förderung gibt es, wenn jemand Wohnraum vergünstigt Menschen mit einem Berechtigungsschein bereitstellt oder neu errichtet. Der Vermieter verpflichtet sich im Gegenzug bis zu 40 Jahre lang zu einem reduzierten Mietpreis. Darüber hinaus unterstützen wir auch einkommensschwächere Familien, die sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen wollen. Die Einkommensgrenzen sind so gestaltet, dass wir die Mitte der Gesellschaft erreichen. Oder denken Sie an unser neues Sonderprogramm „Wohnen im Kulturdenkmal“. Damit unterstützen wir denkmalgerechten Wohnraum, etwa in alten Bauernhäusern, leeren Gasthöfen oder ehemaligen Rathäusern.

Wie ist es mit Baulücken in den Orten? Es soll ja eine neue Grundsteuer geben, eine Art Bauplatzsteuer. 

Die Grundsteuer C. Im Rahmen der Grundsteuerreform wurde beschlossen, den Kommunen ab 2025 die Möglichkeit zu geben, für baureife, aber unbebaute Grundstücke einen eigenen Hebesatz festzusetzen. Dies kann ein Anreiz sein, Baulücken zu schließen. Eine andere Möglichkeit sehe ich darin, auf sogenannten Enkelgrundstücken eine Zwischennutzung zu ermöglichen: ein einfaches Haus ohne Keller, in Modulbauweise, zum Beispiel aus Holz, das wieder zurück gebaut werden kann, wenn die Enkel doch bauen wollen.

Wird es den schwäbischen Häuslebauer in Zukunft noch geben? Wo soll das Bauland herkommen?

Ich hoffe sehr, dass es Häuslebauer auch in Zukunft noch gibt. Ohne das Engagement der vielen Privatinvestoren werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Mein Credo: Wir müssen den Menschen Lust aufs Bauen und Sanieren machen und dürfen sie nicht mit Vorgaben abschrecken. Zum Bauland: Im Innenbereich schlummert großes Potenzial, aber ganz ohne neue Flächen werden wir auch in Zukunft nicht auskommen. Dieser Flächenverbrauch sollte über Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden.