Kirchheim. Bilder von Kindern flimmern über die weiße Wand: Kinder, die den Wald erkunden, Fischbabys im Aquarium beobachten, eine Einrichtung mit behinderten Menschen besuchen und gemeinsam mit Senioren im Kreis tanzen. Die Betreuer kümmern sich um jedes Kind einzeln. Eines malt experimentelle Linien auf eine Leinwand und ruft selbstbewusst: „Das ist Kunst!“
Die Szenen stammen aus einem Kinder- und Familienzentrum (Kifaz) in Stuttgart, erklärt Staatssekretärin im Kultusministerium Marion von Wartenberg. Sie zeigen, was von Wartenberg sich für die Zukunft vermehrt im Ländle wünscht. Ab 2016 sollen bis zu hundert Kitas, die sich zu solchen Zentren weiterentwickeln, mit einer Million Euro gefördert werden.
Mit der Weiterentwicklung zum Kifaz passt sich die Kita dem Zeitgeist an: Kinderbetreuung, Quartiersmanagement und Ansprechpartner für Eltern rücken an einen Ort. Wer es braucht, kriegt dort lange und flexible Betreuungszeiten fürs Kind: Besonders Müttern soll das den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. „Bei den bisherigen Elternzeit-Modellen ist zu viel auf den Schultern der Frau hängen geblieben“, erklärt die Staatssekretärin.
Für Matthias Bremer, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats der Kindertageseinrichtungen in Kirchheim, widersprechen sich eine gute Eltern-Kind-Beziehung und eine Ganztagesbetreuung nicht. Ganz im Gegenteil: „Wenn ich mein Kind abends nach der Arbeit aus der Kita abhole und es mich anstrahlt, weiß ich doch, dass es glücklich ist.“ Die Erziehungsstruktur habe sich in letzter Zeit radikal geändert. Ganztagsbetreuung ist für viele Familien längst Realität.
Deswegen arbeitet die Stadt Kirchheim derzeit fleißig daran, die Ganztagsplätze für über Dreijährige auszubauen: 60 weitere Ganztagsplätze wurden in den letzten Monaten in den städtischen Kitas geschaffen. 20 sollen private Träger übernehmen. Laut dem Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz rangiert Kirchheim im Ländle derzeit auf Platz zwei der investitionsfreudigsten großen Kreisstädte im Kita-Bereich.
In der CJD-Kita im Doschler gibt es zwei Ganztags-Krippengruppen und eine Ganztagsgruppe für Kindergartenkinder – doch das reiche immer noch nicht aus. „Wir müssen Anfragen von Müttern ablehnen, die noch schwanger sind“, zeigt Inge Starzmann, Fachbereichsleiterin für Elementarpädagogik und Familienbildung beim CJD Baden-Württemberg, die Situation auf. Ihre Forderung an das Kultusministerium: Es muss mehr Geld in Aus- und Weiterbildung der Erzieher investiert werden. Ohne das seien selbst die besten Konzepte nichts wert – auch das Kifaz. Ursula Vaas-Hochradl vom Landesverband katholische Kindergärten schließt sich ihr an: „Keine Gruppe kann starten, ohne dass die Erzieher bestens ausgebildet sind“, sagt sie. Weiterbildungen im großen Rahmen seien zwar eine Bürde für die Kitas, müssten aber für die Qualität in Kauf genommen werden.
Der Fachkräftemangel überschattet die Pläne des Ministeriums – dessen ist sich Staatssekretärin von Wartenberg bewusst. „Unser größtes Problem ist, dass kaum noch wer Erzieher werden will“, sagt Starzmann. Es fehlen ausgebildete Pädagogen an jeder Ecke – besonders Männer. Um in Zukunft mehr Menschen in den Beruf zu locken, wurde „Pia“ ins Leben gerufen: Eine Kampagne, die den Azubis ein sicheres Einkommen und viel Praxis in der Ausbildung verspricht. Seit Start der Pia-Kampagne konnte laut von Wartenberg der Männeranteil auf immerhin 16 Prozent erhöht werden. Auch immer mehr Akademiker fangen seitdem als Erzieher an. Bis die Kampagne Früchte trägt, kann es jedoch noch dauern: „Erzieher kann man weder kneten noch backen. Für die Ausbildung braucht man drei Jahre“, sagt Marion von Wartenberg.
Die Kosten für Kinderbetreuung trägt das Kultusressort, die Elternbeiträge alleine decken nur einen Teil davon ab. Landtagsabgeordneter Andreas Schwarz fordert, dass auch andere Quellen zur Finanzierung angezapft werden müssen: „Wenn die Kita zum Kifaz wird, übernimmt es nicht nur die Kinderbetreuung, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgaben.“ Von längeren Betreuungszeiten profitiere zudem letztlich auch die Wirtschaft.