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Not macht erfinderisch

Grenze Ob Lebensmittel oder Luxusgüter – vieles wurde illegal in die DDR transportiert. Der Kirchheimer Joachim Herrmann schaffte es, ein Auto nach Ostdeutschland zu schmuggeln. Von Daniela Haußmann

Während andere nur kleine Dinge über die Grenze schmuggelten, schob Joachim Herrmann ein ganzes Auto durch den Eisernen Vorhang.
Während andere nur kleine Dinge über die Grenze schmuggelten, schob Joachim Herrmann ein ganzes Auto durch den Eisernen Vorhang. Foto: Daniela Haußmann

Trotz Mauer, Stacheldraht und Zöllnern fanden Schmuggler so manches Loch im Eisernen Vorhang. Bis zur Auflösung der DDR haben sich die Menschen notgedrungen mit so manchem Trick beholfen, um die strikte Trennung vom Westen und akribische Grenzkontrollen zu umgehen. Mangelwirtschaft macht erfinderisch. Nicht nur wenn es um Lebensmittel, Elektrogeräte oder Luxusartikel geht, sondern auch um Autos. Wer stolzer Fahrzeughalter werden wollte, brauchte Geduld. Zwischen 12 und 17 Jahren betrug die Wartezeit. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass es einen Schwarzmarkt gab, auf dem Gebrauchtwagen zu deutlich höheren Preisen den Besitzer wechselten als fabrikneue. Wer nach Jahren endlich den Schlüssel für sein Auto ausgehändigt bekam, lernte die Besonderheiten des Dienstleistungssystems kennen. Reparaturen gerieten schnell zur großen Herausforderung, denn Ersatzteile waren oftmals nur über Beziehungen oder im Tausch gegen andere Dinge zu bekommen, wie der Kirchheimer Joachim Herrmann weiß.

 

Vom Gebraucht- zum Neuwagen

 

Ein Teil seiner Verwandtschaft wohnte in Mecklenburg. So erlebte der Schwabe bei seinen regelmäßigen Besuchen hautnah die Auswirkungen des Versorgungsmangels. „Mein Vetter fuhr einen Lada“, erinnert sich Joachim Herrmann. „Auf dem Tacho standen jede Menge Kilometer.“ Doch was tun, wenn ein Gebrauchtwagen Unsummen kostet und ein Neufahrzeug nicht in absehbarer Zeit verfügbar ist? In solchen Fällen sind kreative Ideen gefragt. Joachim Herrmann und seine Verwandten steckten die Köpfe zusammen. Irgendwann fassten sie den verwegenen Entschluss, im Westen ein Auto zu kaufen, um es hinter den Eisernen Vorhang zu schmuggeln.

 

Einen Plan zu schmieden ist das eine, einen gelben Lada im Schwabenland zu finden das andere. „Natürlich musste das Tauschfahrzeug vor allem optisch genauso aussehen wie das alte Auto“, erzählt Joachim Hermann.

 

Im Grunde suchte der Kirchheimer im Jahr 1984 nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Das DDR-Blech rollte schon damals äußerst selten über westdeutsche Straßen. Doch Joachim Herrmann hatte Glück. Von einem Bekannten erfuhr er, dass in Uhingen ein ungarischer Bademeister lebt, der einen gelben Lada besitzt. Allerdings wollte der sein Gefährt gar nicht verkaufen. Aber mit schwäbischer Beharrlichkeit gelang es Joachim Herrmann das Geschäft für 3 000 Mark abzuwickeln.

 

Im darauffolgenden Frühjahr setzte er sich hinter das Steuer des Ladas und brach nach Waidhaus auf, wo er ohne Probleme die Grenze zur damaligen Tschechoslowakei überquerte. Auf einem Campingplatz in der Nähe von Pilsen tauschten er und sein Vetter in einem abgelegenen Waldstück die Fahrzeuge sowie die Nummernschilder aus. Tags darauf fuhr Joachim Herrmann zurück zum Grenzübergang, wo er in den frühen Morgenstunden auf weiter Flur der einzige war, der in die Bundesrepublik einreisen wollte. Vielleicht nahm sich der Zöllner gerade deshalb ausgiebig Zeit für seine Kontrolle.

 

Neu zugelassen aber völlig kaputt

 

Ein Wagen, der erst vor zwei Wochen zugelassen worden war und völlig abgewirtschaftet aussah, erregte Misstrauen, genau wie die brüchige Geschichte, die Joachim Herrmann aus dem Ärmel schüttelte. „Ich erzählte ihm, dass ich den Wagen für meinen Sohn gekauft hatte und nun eine Probefahrt über die Tschechei machte“, berichtet der Kirchheimer. Der Zöllner ließ ihn dann nach vielem Hin und Her weiterfahren. „Allerdings musste ich innerhalb von vier Tagen sämtliche Mängel an dem Wagen beheben lassen und eine Bestätigung nach Waidhaus schicken“, berichtet Joachim Herrmann.

 

Doch das Schlimmste kommt noch. Joachim Herrmanns Verwandter hatte ihm einen Keilriemen und fünf Liter Öl mit auf den Weg gegeben. „Mein Vetter hatte die Kolbenringe ausgebaut. Die brauchte ein Bekannter von ihm für sein Auto“, erzählt der Kirchheimer. „Deshalb musste ich immer wieder Öl nachleeren.“ Auf der rund 500 Kilometer langen Fahrt wechselte Herrmann dann noch den Keilriemen, ehe sich am Albaufstieg die Motorlager nebst Kurbelwelle verabschiedeten.

 

Kaum in der Teckstadt angekommen verschrottete er den Wagen. Mit der amtlichen Bestätigung gaben sich dann auch die Waidhäuser Beamten zufrieden. Zurück in der DDR wurde Joachim Herrmanns Vetter lediglich auf seine neue Glanzlackierung angesprochen. Nach der Wende verkaufte er das Fahrzeug an einen Ingenieur, der es mit ins russische Toljatti nahm.