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Offline nur zum Schlafen

Landtagskandidaten als allzeit verfügbare Gesprächspartner im Internet

Sie sind zeitintensiv, bisweilen sogar lästig, auf jeden Fall alternativlos: Kein Abgeordneter oder Wahl-Bewerber kommt mehr ohne Online-Plattformen wie abgeordnetenwatch.de oder Facebook aus. Eine Herausforderung, die oft ans zeitliche Limit führt.

Der direkte Draht zum Kandidaten: abgeordnetenwatch.de ist seit 11. Februar wieder online.Foto: Jean-Luc Jacques
Der direkte Draht zum Kandidaten: abgeordnetenwatch.de ist seit 11. Februar wieder online.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Der Online-Wahlkampf macht die Nächte kürzer. Zwei Stunden früher als sonst üblich steigt Andreas Kenner frühmorgens aus dem Bett. Eine Woche vor der Wahl geht nichts mehr ohne zusätzliche Opfer. Online-Fragen beantworten, Fotos posten, Kommentare liken. Ungestört geht das nur, bevor der eigentliche Arbeitstag beginnt. Zwei Stunden täglich taucht der SPD-Kandidat im Wahlkreis Kirchheim in die unendlichen Weiten des Internets ein. Dabei ist Kenner einer, der aus Überzeugung bis vor kurzem noch die Finger von sozialen Medien ließ. „Alles, was dem Austausch und der Transparenz dient, ist gut“, sagt der 59-Jährige heute. Fragen auf abgeordnetenwatch.de, der Dialog-Plattform, die zur Landtagswahl seit 11. Februar online ist, beantwortet er so weit die Zeit es zulässt. Lästig werde die Sache nur dann, wenn so genannte Wahlprüfsteine von Organisationen mit Verweis auf eine schnelle Antwort ins Haus schneien. „Damit könnte man den ganzen Tag verbringen,“ meint Kenner. „Ich gehe noch immer lieber auf den Markt, um mit den Leuten zu reden.“

Ähnlich ergeht es dem CDU-Abgeordneten Karl Zimmermann, der mit abgeordnetenwatch erklärtermaßen auf Kriegsfuß steht. Das Forum zu boykottieren, will auch er sich nicht leisten, sagt aber: „Ich beantworte nur solche Fragen, die direkt meinen Wahlkreis betreffen.“ Gott sei Dank habe er bisher nicht viele Anfragen erhalten. Zimmermann redet ungeschminkt von verdecktem Kommerz und darüber, wofür er die Plattform hält: „eine Totgeburt.“ Zwei Stunden täglich ist auch er damit beschäftigt, im Netz Präsenz zu zeigen. die Bugwelle, die dabei entsteht, wächst je näher der Wahlsonntag rückt. Nicht selten dauert es bis zur Wochenmitte, ehe die Veranstaltungen des Wochenendes aufgearbeitet sind. Facebook nimmt dabei knapp die Hälfte seiner gesamten Wahlkampfzeit in Anspruch. Die Arbeit zu delegieren, ergibt für ihn keinen Sinn. „Auf Fragen zu antworten, überlass ich keinem Dritten“, sagt Zimmermann. „Die werden zu 90 Prozent von mir beantwortet.“

Das gilt auch für den FDP-Kandidaten Ulrich Kuhn, dem eine halbe Stunde täglich reicht, um Online-Anfragen zu beantworten und eigene Beiträge ins Netz zu stellen. Über abgeordnetenwatch.de sagt er: „Es ist gut, dass es so etwas gibt, aber meine Nummer eins im Dialog mit dem Bürger ist es nicht.“

Bei den Grünen ist ein Mehr an Bürgerbeteiligung programmatisch verankert. Deshalb fungiert Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch für abgeordnetenwatch.de als Schirmherrin. Auch Kirchheims Grünen-Abgeordneter Andreas Schwarz findet die Einrichtung sinnvoll, weil sie eine schnelle Kommunikation ermögliche, transparent sei und einen klaren Verhaltenskodex beinhalte. Schwarz ist jüngster Kandidat im Wahlkreis Kirchheim und der einzige, der ohne Facebook-Auftritt auskommt. „Seien wir ehrlich“, meint der 36-Jährige, der über Smartphone und Tablet ganztägig online ist, „bei Jüngeren ist Facebook doch längst überholt.“ Dass er die eigene Homepage oder abgeordnetenwatch dem vorzieht, hat jedoch einen anderen Grund: „Wenn es um politische Inhalte geht,“ sagt Schwarz, „dann reichen keine drei Sätze.“ Dass Online-Präsenz nicht alles ist, würde auch er unterschreiben. Den Erstwählern in Kirchheim hat er als Einladung zu einem Informationsabend Postkarten geschickt.