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Planer tauscht Bürostuhl gegen Radsattel

Sabbatjahr Gernot Pohl verwirklicht seinen Traum und nimmt eine Auszeit, um durch Argentinien zu radeln. Der Stadtplaner ist jetzt in den Anden. Von Irene Strifler

Gernot Pohl gehen  - Stadtplaner im Techn. Rathaus. Herr Pohl macht nämlich ein Sabatjahr.
Gernot Pohl gehen - Stadtplaner im Techn. Rathaus. Herr Pohl macht nämlich ein Sabatjahr.

Gernot Pohl wirkt zufrieden. Kein Wunder: Hinter ihm thront der Vulkan Junin an der Grenze von Argentinien zu Chile. Und sein Schreibtisch steht fast 12 000 Kilometer entfernt im Technischen Rathaus am Alleenring.

Pohl ist Stadtplaner in Kirchheim. Eigentlich. Denn er erfüllt sich momentan einen Traum. Er macht das, wovon laut Statistik die Hälfte aller Bundesbürger träumen: ein Sabbatjahr. Das Ausland hat ihn zeit seines Lebens gelockt: Schon als Kind lebte er ein paar Jahre im Kongo. In seinem ersten Beruf als Metallograf arbeitete er zwei Jahre in Frankreich. Als Student verschlug es ihn wieder ins Ausland. Dann forderten Beruf und Familie ihren Tribut.

Jetzt, mit 56 Jahren, hat das Fernweh erneut zugeschlagen. Gernot Pohl ist wieder auf Reisen. – Er reist „mit leichtem Gepäck“, wie‘s im Song von Silbermond so schön heißt, aber ganz so einfach wie früher ist das Ganze eben doch nicht. Familiär ist die Situation fast studentisch: Die Kinder sind groß, die Verpflichtungen überschaubar. Doch am Arbeitsplatz kann ein Stadtplaner nicht einfach sagen „Ich bin dann mal weg“.

Pohl freut sich, in der Kirchheimer Stadtverwaltung auf Verständnis gestoßen zu sein und sich durch die Oberbürgermeisterin unterstützt zu fühlen. Viel musste im Vorfeld organisiert werden. Das fängt mit Versicherungen an, aber auch damit, dass vertraglich über ein paar Jahre hinweg Gehaltseinbußen abgesprochen werden müssen, damit auch während der Abwesenheit der Rubel rollt. Um erkennbare Konflikte im Job zu vermeiden, splittet Pohl sein Sabbatical, wie es neudeutsch heißt: Im Moment radelt er ein Vierteljahr quer durch Südamerika, nach einer Pause steht noch der afrikanische Kontinent an.

Die Radtour ist seine ganz persönliche Erfüllung. Gernot Pohl spricht zwar fließend Portugiesisch, muss sich jetzt aber damit in spanischsprachigen Ländern durchschlagen. Auch die Art zu reisen, per Fahrrad, verspricht Abenteuer, zumal der Drahtesel in Südamerika längst noch nicht so ein anerkanntes Verkehrsmittel ist wie hierzulande. Aufgrund der dünnen Besiedlung vieler Landstriche übernachtet der gebürtige Saarländer immer wieder im Zelt. – Allerdings ist er nicht ganz allein. Ein Bekannter hatte ähnliche Wünsche, beide taten sich zusammen.

Ende November ging‘s los. Mit dem längsten Nonstop-Flug, den die Lufthansa im Programm hat, starteten die Männer in Frankfurt, um 13 Stunden später in der heiteren argentinischen Metropole Buenos Aires zu landen. Dort war nur eine kurze Verschnaufpause drin. Denn Gernot Pohl will am Ende seiner Traumtour ausgiebig Station machen in der Hauptstadt am Rio de la Plata. Geplant ist, ein paar Wochen Einblick in die dortige Uni zu nehmen.

Noch am Tag der Ankunft ging‘s per Bus – dem gängigsten Verkehrsmittel in Argentinien – Richtung Anden. 19 Stunden Fahrt waren da gleich mal angesagt, gut zu schaffen dank Bett und Bordservice. Die Stahlrösser wussten die Männer gut verwahrt im Busbauch.

Doch dann war Schluss mit Komfort. Von da ging‘s mit eigener Muskelkraft und täglich wachsender Power kreuz und quer durch die Berge, erst zu einem Weingut in Chile, das von einem Offenburger betrieben wird, dann weiter zu einer Outdoor-Agentur in den argentinischen Anden, mit der ein Stuttgarter sein Geld verdient. Nach dem Besuch von ­Bariloche, einem fast schweizerisch anmutenden Bergdorf, verbringen die Radler die Weihnachtstage derzeit in Cholila. In diesen Ort flohen die berühmten Bankräuber Butch Cassidy und Sundance Kid vor über hundert Jahren auf spektakuläre Weise. Die beiden Deutschen zieht es aber schon bald in die Einsamkeit des Südens, nach Patagonien.

Gernot Pohl schwärmt jetzt schon enthusiastisch von der Weite der Landschaft und von den zugänglichen Menschen, er ist verliebt in die Flora, speziell in die Einsiedlerbäume „Araukarien“. Kurzum: Er ist begeistert von Argentinien – und von der Einrichtung eines Sabbaticals an sich.

Die Aktenberge aus seinem Büro in Kirchheim vermisst Gernot Pohl wohl nicht, ebenso wenig den Albtrauf, den er vorübergehend geg
Die Aktenberge aus seinem Büro in Kirchheim vermisst Gernot Pohl wohl nicht, ebenso wenig den Albtrauf, den er vorübergehend gegen die Anden eingetauscht hat. Das große Foto zeigt ihn auf einer Piste vor dem Vulkan Junin, dem schönsten Berg der Welt, wie zumindest viele Argentinier sagen. Fotos: Roland Schmellenkamp und Jean-Luc Jacques