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QR-Codes informieren über die Neidlinger Kugelmühle

Handwerk Soll er die Kugelmühle ganz aufgeben? Während der Corona-Schließungen hat Kugelmüller Stefan Metzler sich das ernsthaft gefragt. Dann tat er genau das Gegenteil und ist heute froh darüber. Von Peter Dietrich

In einem normalen Jahr lockt die Neidlinger Kugelmühle rund 8000 Besucher, die meisten kommen aus einem Umkreis von rund 200 Kilometern. „Doch auch manche Urlauber aus Berlin oder dem Ruhrgebiet legen extra ihre Route über Neidlingen“, erzählt Kugelmüller Stefan Metzler. Als er wegen den Corona-Maßnahmen lange Zeit schließen musste, haderte der Sicherheitsingenieur mit sich: Wie lange wird das dauern, soll er das geliebte Hobby aufgeben? Stattdessen entschied er sich, die Zeit zu nutzen, um in der Werkstatt mit viel Geduld ein Museum einzurichten. Damit ist in das alte Waschhaus neue Technik eingezogen.

 

Europa wächst nur dann zusammen, wenn man sich gegenseitig besucht
Kugelmüller Stefan Metzler
über die Notwendigkeit der Infotexte in unterschiedlichen Sprachen

 

Auf jeder der neuen Tafeln, die die Herstellung der Kugeln erklären, befinden sich drei QR-Codes. Sie führen zu erweiterten Textversionen in deutscher, französischer und englischer Sprache. Übersetzt hat der Kugelmüller die Texte selbst, sie aber nochmals durch Muttersprachler überprüfen lassen. „Europa wächst nur dann zusammen, wenn man sich gegenseitig besucht“, ist er überzeugt. Die Besucherinnen und Besucher der Kugelmühle sind bunt gemischt: Das kann eine Grundschulklasse sein, aber auch ein Seniorenkreis. Das Team von derzeit acht zertifizierten Gästeführern bietet auch Führungen für blinde und gehörlose Menschen an. Vor einiger Zeit fand ein 90-jähriger Besucher in der Werkstatt endlich die Antwort auf eine Frage, die ihn seit Kindertagen beschäftige: Was war das für ein merkwürdiger Stein mit Kreisen, der da in seinem Haus eingemauert war? Nun weiß er es endlich: Er gehörte einst zum Mahlwerk einer Kugelmühle.

Kugelmüller Stefan Metzler öffnet ein Mahlwerk. Fotos: Peter Dietrich

Wer wissen will, aus was sich der Stein einer Kugel genau zusammensetzt, greift im Museum zum Geologenmikroskop. Umklappbare Infoblätter erläutern, was der Besucher auf dem großen Monitor sieht, etwa eingeschlossene Fossilien. Auf einem noch größeren Monitor an der Wand lassen sich zehn verschiedene Videos auswählen: Der SWR war schon mehrmals zu Besuch in der Kugelmühle, Arte war da, engagierte Hobbyfilmer haben mit einer Produktion über die Kugelmühle einen Preis geholt – den vor einem knappen Jahrzehnt von der Grundschule Neidlingen produzierten Zeichentrickfilm über die Kugelmühle sollte sich kein Besucher entgehen lassen.

Plastikmüll wird angeprangert

Ein weiterer Film zeigt den Seebach aus der Fischperspektive. Was den Kugelmüller richtig ärgert, sind der Müll und das Plastik, die er aus dem Seebach fischen kann. „Irgendwann landet das Plastik im Meer und im Bauch eines Fisches“, sagt er. „Er verhungert mit vollem Bauch.“ Mit Überzeugung hat er Umweltthemen ins Museum aufgenommen. „Wir sind seit über 20 Jahren CO2-neutral.“

Der Kugelmüller freut sich über sein neues Museum. Dass er nicht aufgegeben habe, betont er, liege auch an der großen Unterstützung durch die Neidlinger Bürger – durch vermehrte Käufe seiner Kugeln und manches Mut machende Wort. Sein Ziel ist, mit der Kugelmühle die Besucher auch zu anderen Zielen im Ort zu locken. „Wenn eine Gruppe zu groß ist, teilen wir: Eine Hälfte geht zuerst in die Brennerei, zum Imker oder zu Holzspielwaren Holder, später wird getauscht.“

Längst beherrscht der Kugelmüller sein Handwerk perfekt. Er weiß, dass er für das Oberteil seines Mahlwerks frisches Buchenholz braucht, das in Dauernässe extrem hart wird. Das Unterteil besteht aus ebenfalls sehr hartem Rhätsandstein, er hält etwa drei Jahre durch. Im Sommer sind die Kugeln nach einem Tag perfekt rund, im Winter schon nach einem halben Tag: Das kalte Wasser ist dichter und es fließt schneller. Die Mahlwerke sind so gebaut, dass die Kugeln verschiedener Größen alle gleichzeitig fertig werden. Bevor das Wasser seine Arbeit tun kann, muss der noch unrunde Rohling allerdings bereits rollfähig sein – die einzelnen Fertigungsschritte werden im Museum sehr gut erklärt.

Solche Größen wurden in früheren Zeiten nicht gefertigt

Manche Besucher kommen allerdings nicht deshalb, sondern wegen des Abfalls. Denn die Steinplatten, aus denen der Kugelmüller beim ersten Arbeitsschritt seine Bohrkerne erhält, ergeben wunderbare Pflanzsteine, die er für bescheidene sechs Euro abgibt.

Info: Die Öffnungszeiten von Werkstatt und Museum sind ständig aktuell unter www.kugelmuehle-neidlingen.de zu finden.

 

Wie die Kugelmühle nach Neidlingen kam

Bis 1974 diente das Werkstattgebäude als Waschhaus, danach gammelte es fast 30 Jahre lang vor sich hin. Dann hatte der Weilheimer Stefan Metzler die Idee, das Handwerk des Kugelmüllers wieder zu beleben – ein altes deutsches Handwerk, das er in Österreich kennengelernt hatte. „Ich bin auf mehrere Gemeinden zugegangen und Neidlingen hat am nettesten geantwortet.“ Im Jahr 2002 lag die Genehmigung vor, im Februar 2004 entstand die erste Kugel. Manches sei „Versuch und Irrtum“ gewesen, erinnert sich Stefan Metzler. Es gebe schließlich kein Buch „Wie baue ich eine Kugelmühle“. „Das Wissen wurde in den Familien weitergegeben und nicht schriftlich aufgesetzt, es starb mit diesem Nebenerwerb der Bauern, der mit der Industriemurmel aus Glas nicht konkurrieren konnte, aus.“ Doch steckt in der Neidlinger Kugelmühle auch viel gezielte Planung: „Das ist ingenieursmäßig berechnet.“ pd