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Rationieren gehörte einfach dazu

Erinnerungen Als Einschränkungen noch völlig normal waren: Ein Gespräch mit der Kriegsgeneration über die Zeit der Lebensmittelmarken. Von Katja Eisenhardt

Von links: Anneliese Theiss, Karl Schmid, Ilse Schmid und Uwe Schorsch aus Hochdorf erinnern sich an die Zeiten, als es Lebensmi
Von links: Anneliese Theiss, Karl Schmid, Ilse Schmid und Uwe Schorsch aus Hochdorf erinnern sich an die Zeiten, als es Lebensmittel nur auf Bezugsmarken gab. Fotos: Katja Eisenhardt
Hochdorf, 70 Jahre nach den Lebensmittelmarken, Kriegsgeneration erinnert sich an die Zeiten, als Rationierungen noch an der Tag
Lebensmittelmarken zeugen von Zeiten, als Rationierungen noch an der Tagesordnung waren. Foto: Katja Eisenhardt

In Zeiten von Corona und teils absurden Hamsterkäufen lohnt es sich, in der Geschichte zurückzublättern und die Generation zu Wort kommen zu lassen, die das Rationieren gewohnt ist. Man kommt ins Nachdenken, wenn das Ehepaar Ilse und Karl Schmid (88 und 94 Jahre) und Anneliese Theiss (85) an einem Tisch sitzen und über die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg erzählen.

Auslöser für das Treffen war ein Fund von Uwe Schorsch: In seinen Unterlagen stieß der 73-Jährige auf noch übrige Lebensmittelmarken seiner Eltern vom Feb­ruar 1950.

Beim Betrachten der Marken für Butter, Fett, Fleisch, Brot und Zucker wird deutlich, weshalb die Runde die heutigen Hamsterkäufe so gar nicht nachvollziehen kann. 125 Gramm Butter standen einem Erwachsenen damals monatlich zu. „Die gab es dann eher am Sonntag, für die Woche hat man sich mit sonstigem Fett beholfen“, weiß Uwe Schorsch. Fürs Fett finden sich dreimal 250 Gramm auf dem Bogen. Zucker war ein Kilo pro Monat kalkuliert, beim Fleisch waren 500 Gramm pro Erwachsenem und Monat regulär vorgesehen. „Manchmal gab es durch Notschlachtungen noch etwas mehr“, erzählt Annliese Theiss.

Ihre Mutter Frieda Reyer hatte von 1930 bis 1971 einen Gemischtwarenladen am Hochdorfer Orts­eingang. „Ein Vierling Butter - das war im Verkauf etwas ganz Normales damals“, erinnert sich die 85-Jährige. „Jeden Sonntag haben wir wie alle Kaufleute die abgegebenen Marken sortiert, aufgeklebt und auf dem Landratsamt abgegeben. So waren die verkauften Mengen pro Monat bekannt, entsprechend bekam meine Mutter die Waren für ihr Geschäft zugeteilt.“

Für Eier gab‘s eine separate Karte, ebenso für Kleidung. Milch war ebenso strikt rationiert. Ein Paar neue Schuhe bekam man mit viel Glück nur mit speziellem Bezugsschein. „Dann musste man erst noch einen Laden finden, der Schuhe hatte“, beschreibt Ilse ­Schmid die komplizierte Angelegenheit. „Da hat man sich dreimal überlegt, ob man wirklich neue braucht.“ Überhaupt habe man alles so lange aufgetragen wie möglich.

„Wer einen Acker oder Nutzgarten hatte, war reich“, sagt Anneliese Theiss. Auf dem Land wie in Hochdorf sei das noch eher üblich gewesen. Milch bekam man von den Bauern, wer Hennen hatte, hatte Eier, und eigene Hasen lieferten eine Zusatzration Fleisch. Zwischen 1945 und 1947 sei die schlechteste Zeit gewesen, erinnert sich die Runde. „1947 war dazu ein sehr trockenes Jahr, es gab nur sehr kleine Äpfel und Kartoffeln. Nudeln gab es pro Kopf vielleicht 25 Gramm pro Tag“, erinnert sich Ilse Schmid. „Wir waren zu siebt, das war manchmal schon heftig, wir hatten oft Hunger“, berichtet die heute 88-Jährige.

Zur Arbeit musste sie nach Ötlingen in ein Ledergeschäft laufen, wo sie Handschuhe nähte: „Mein Vesper war manchmal nur eine kalte Kartoffel.“ Immer wieder habe es Tauschgeschäfte gegeben, was offiziell verboten war: „Da konnte ich dann zum Beispiel mal ein paar Lederhandschuhe gegen ein Paar Stiefel tauschen.“ Im Herbst wurden Bucheckern gesammelt und zu den Ölmühlen in Dettingen oder im Ebersbacher Ortsteil Sulpach gebracht.

Lange Wegstrecken gehörten zum Alltag. „Für ein Fässle Essig sind wir von Hochdorf nach Ebersbach gelaufen. In Reichenbach wurde man auf dem Rückweg dann von den Amerikanern kontrolliert. Die dachten, das sei Schnaps, und haben es erst geglaubt, als sie reingerochen hatten“, erinnert sich Anneliese Theiss und lacht.

Karl Schmid ist 1947 aus der Gefangenschaft in seinen Heimatort Hochdorf zurückgekehrt. „Wir hatten zum Glück eine Landwirtschaft und sind als Selbstversorger ganz gut über die Runden gekommen, konnten etwa Butter selbst herstellen“, erzählt der 94-Jährige. Für ihn sei es eher eine Besonderheit gewesen, nach der Gefangenschaft mal wieder frei in eine Gaststätte gehen zu können, sich überhaupt frei bewegen zu können. Über heutige Hamsterkäufe von Toilettenpapier kann er nur schmunzeln: „Notfalls muss man halt Zeitungspapier nehmen, ging ja früher auch.“

Als Kriegs- und Nachkriegsgeneration sei die heutige Überfluss- und Wegwerfgesellschaft kaum auszuhalten, bringt es seine Frau Ilse Schmid auf den Punkt. „Man muss nur so viel kaufen, wie man tatsächlich braucht. Bei mir wird nichts weggeworfen.“ Über den Kauf größerer Lebensmittelmengen im Zuge von Corona hat sich keiner aus der Runde Gedanken gemacht. Die Gefrierschränke und Regale seien mit Eingemachtem, Gekochtem oder Gemüse aus dem Garten gefüllt. Einen normalen Vorrat an Nudeln, Reis oder Mehl habe man immer. „Selbst wenn ich in Quarantäne müsste, überlebe ich die nächsten vier Wochen problemlos“, sagt Annliese Theiss. Das Sich-einschränken-müssen haben alle vier am Tisch gelernt, und das in einem ganz anderen Maß.