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Rückfall in die Depression

Krankheit Die Coronakrise ist für jeden Menschen herausfordernd, egal ob krank oder gesund. Depressive Menschen leiden gerade besonders. Eine Betroffene erzählt, wie sie mit der Situation umgeht. Von Antje Dörr

Besonders Depressive leiden unter der Corona-Situation. Sie brauchen den persönlichen Kontakt. Foto: Markus Brändli
Besonders Depressive leiden unter der Corona-Situation. Sie brauchen den persönlichen Kontakt. Foto: Markus Brändli

Kein Tag gleicht dem anderen, und das schon seit Wochen. Spannung liegt in der Luft, im Supermarkt nur noch Maskierte. Die Medien voll mit schlechten Nachrichten, und keiner weiß, wie es weitergeht. Dieser neue, verquere Pandemie-Alltag belastet jeden Menschen. Für depressive Menschen ist er ein Albtraum.

Louisa (Name geändert) ist eine von ihnen. Seit der Geburt ihres ersten Kindes vor fünf Jahren litt sie an Depressionen, ausgelöst durch eine Wochenbettdepression, die viel zu spät diagnostiziert wurde. Sie habe nach der Geburt keine Bindung zu ihrem Baby aufbauen können, sagt sie. „Alles fühlte sich falsch an, ich hatte das Gefühl, keine Mutter sein zu können.“ Mit der Zeit wurden die negativen Gefühle immer schlimmer. „Ich dachte, mir fällt eine dicke schwarze Decke aufs Gesicht“, erinnert sich Louisa. Leer habe sie sich gefühlt, starr und antriebslos. „Dein Kind fällt hin, und du weißt, du solltest es trösten und Mitleid haben. Aber du fühlst es nicht“, schildert sie eine typische Situation von damals. Zuletzt sei es ihr gut gegangen, nach langem Klinikaufenthalt und Therapie. Auch die Geburt des zweiten Kindes vor ein paar Wochen hat Louisa dieses Mal nicht aus der Bahn geworfen. Weil sie sich genau überlegt hatte, wie sie es schaffen würde. Ausruhen, wenn das große Kind in der Kita ist. Für Entlastung sorgen, Freunde und Großeltern um Hilfe bitten. Das war der Plan. Und dann kam die Coronakrise. Ausgerechnet jetzt.

Seitdem spürt Louisa, dass sie wieder abrutscht. „Ich bin ein ziemlich perfektionistischer und kontrollsüchtiger Typ“, sagt sie über sich selbst. Sie könne es schlecht ertragen, wenn die Dinge nicht nach Plan liefen. Dass sie nun ein Baby zu Hause hat, und dazu eine knapp Fünfjährige, die wegen der Coronakrise nicht in die Kita kann, überfordert sie. „Für jeden Depressiven ist es wichtig, dass er ab und zu mal Stille und Ruhepausen hat und nicht ständig jemand was von ihm will“, sagt Louisa. Was Louisa außerdem schmerzlich vermisst, ist der Kontakt mit Freunden, Familienmitgliedern und Kollegen. Echte Treffen, nicht nur Telefonate. „Es fällt mir viel leichter, zuzugeben, dass es mir nicht gut geht, wenn jemand direkt vor mir steht“, sagt sie.

Dass es in den Medien praktisch nur noch um das Virus und die Pandemie geht, verstärkt Louisas negative Gefühle noch mehr. „Das Problem am depressiv sein ist, dass man alles dramatisiert und die Ängste riesengroß sind. Und jetzt ist die Katastrophe wirklich da, sie ist überall, und ich kann mich ganz schlecht davon distanzieren“, sagt sie. Ihr falle es sehr schwer, diese Katastrophe aus ihrem Gehirn zu streichen und sich auf ihr wirkliches Leben zu konzentrieren. Sie versucht deshalb, nicht so viel über die Pandemie zu lesen, um aus diesem Katastrophenmodus herauszukommen.

Auch an anderen Fronten tut Louisa viel, um ihren Alltag etwas leichter zu machen und die Familie vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Sie sucht nach familiärer Entlastung, um sich selbst Ruhepausen zu verschaffen. Ihre Therapie hat sie wieder aufgenommen, die Tablettendosis erhöht. Und sie versucht, mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben. All das hilft ein wenig. Aber den Kampf gegen ihre Depression, gegen die Verzweiflung, die Antriebslosigkeit und die innere Leere, all jene Gefühle, die vor Beginn der Pandemie verschwunden waren, diesen Kampf, sagt sie, könne ihr keiner abnehmen.

Betroffene können sich bei dem Arbeitskreis Leben Kirchheim-Nürtingen melden unter der Telefonnummer 0 70 21/7 50 02