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„Schotterwege sind ein wichtiger Lebensraum für Vögel und Insekten“

Naturschutz Wenn Feldwege asphaltiert werden sollen, sind Artenschutzgutachten notwendig. Der Kirchheimer Forstökologe und Naturschützer Wulf Gatter erklärt, welche Alternativen es gibt. Von Katja Eisenhardt

Der Kirchheimer Forstökologe, Ornithologe und Naturschützer Wulf Gatter erklärt an einem Kirchheimer Beispiel, wie man einen Feldweg sinnvoll und befestigt sanieren kann, so dass er weiterhin Lebensraum für die Tierwelt bleibt. Foto: Katja Eisenhardt

Wenn Kommunen ihre Feldwege sanieren wollen, sind sie mit detaillierten Auflagen seitens der Naturschutzbehörde konfrontiert. Das ist beispielsweise aktuell in Notzingen der Fall. Die Gemeinde würde gern ein rund 450 Meter langes Teilstück eines derzeit grob geschotterten Feldwegs asphaltieren, der südlich der Kreisstraße 1205 (Ötlinger Straße) liegt, wenn man aus Notzingen in Richtung Kreisverkehr nach Wernau und Kirchheim fährt. Der Rest des Weges, der im Vogelschutzgebiet liegt, ist bereits asphaltiert.

 

Lerchen und Insekten halten sich auf Schotterwegen auf, um sich zu sonnen.
Wulf Gatter
Forstökologe

 

Die Untere Naturschutzbehörde des Esslinger Landratsamts hat die Gemeinde über die vorab notwendigen umfassenden Artenschutzgutachten in Kenntnis gesetzt, was im Gemeinderat für Unverständnis sorgte (wir berichteten). Warum jene Gutachten verpflichtend und notwendig sind beziehungsweise in welchem Fall man sich deren Notwendigkeit und damit auch die nicht gerade geringen Kosten sparen kann, erklärt der renommierte Kirchheimer Forstökologe, Ornithologe und Naturschützer Wulf Gatter, unter anderem Gründer der Forschungsstation Randecker Maar zur Langzeitbeobachtung des Vogel- und Insektenzuges.

Bei mehrschichtigen Schotterwegen entfallen Gutachten

Als Forstökologe hatte der heute 80-Jährige regelmäßig mit der Sanierung von Wegen zu tun, in seinem Fall waren es die Waldwege. Diese ließen sich gut zum Vergleich für den aktuellen Notzinger Fall heranziehen, sagt der Experte: „In den Wäldern des Landkreises haben wir ausschließlich Schotterwege, die wie jener in Notzingen genauso von Radfahrern frequentiert sind. Allerdings sind diese nicht grob geschottert wie der Notzinger Feldweg, der dadurch zudem bei Starkregen das Problem der Unterspülung hat, sondern bestehen aus verschiedenen und in sich massiven Schichten."

Die unterste sei die gröbste, nach oben hin werde der Schotter feiner und dichter. Die oberste Schicht aus einem feinen Kies-Sand-Gemisch werde durch die Befahrungen glatt und somit problemlos befahrbar, erklärt Wulf Gatter. Zudem seien die Wege leicht gewölbt, so dass das Wasser seitlich in die Gräben abfließe. „Wenn man den Weg und die Gräben zudem pflegt, ist diese Lösung einer mehrschichtigen Schotterung inklusive eines zumindest einseitigen Grabens auch beim Feldweg in Notzingen möglich. Dafür bräuchte es keine ökologischen Gutachten, da nicht massiv in den Lebensraum der Tierwelt eingegriffen wird, wie es bei einer Asphaltierung der Fall ist. Es wäre also ein sinnvoller Kompromiss."

Ein eben solcher befestigter Schotterweg sei auch der Neckartalradweg zwischen Wendlingen und Plochingen. „Bei einer Asphaltierung sind die Gutachten dagegen durchaus notwendig und schlicht Vorschrift, wenn wir unsere Tier- und Pflanzenwelt auf beiden Seiten des Neckars erhalten wollen", betont Gatter.

Vögel und Insekten halten sich auf Schotterwegen auf

Im Notzinger Fall fordert die Untere Naturschutzbehörde mehrere Begehungen mit Blick auf die Feldlerche, für die Erfassung der Schmetterlinge beziehungsweise deren Futterpflanzen sowie jener der Zauneidechsen. „Die Feldlerche ist ein Laufvogel, hält sich also grundsätzlich am Boden auf. Ungeteerte Wege sind für sie extrem wichtig. Schon früh morgens halten sich die Lerchen und Insekten auf den Schotterwegen auf, um sich zu sonnen, da diese trocken sind", erklärt Wulf Gatter.

Genauso wichtig seien die Schotterwege beispielsweise für Laufkäferarten, bestimmte Schmetterlinge oder Eidechsen, die sich ebenso auf diesen aufhalten. Die mittlerweile zunehmend versiegelten Flächen und damit der Verlust des natürlichen Lebensraumes hätte ebenso wie das veränderte Dünge- und Pflanzungsverhalten auf den landwirtschaftlichen Flächen einen Anteil daran, dass der hiesige Artenreichtum an Vögeln und Insekten stark zurückgegangen sei. „Früher waren Rebhühner vom Neckartal bis auf die Alb häufig. Heute finde man die Art im ganzen Kreis nur noch rund um den Stuttgarter Flughafen, auf dessen Gelände das Gras zwar gemäht, aber keine Herbizide eingesetzt werden." Sicher sei der Einsatz von Herbiziden sowie Pesti-, Fungi- und Insektiziden teils notwendig, „es muss aber im Rahmen bleiben."

Bei Asphaltwegen gelte zudem zu beachten, dass auch diese Folgekosten mit sich brächten, sobald sie im Laufe der Jahre Risse bekämen und saniert werden müssten: „Diese Wegeunterhaltung wird dann teuer", weiß Wulf Gatter, der beruflich viele Flurbereinigungen miterlebte und den heutigen Zustand der Wege kennt.

 

Zur Person von Wulf Gatter

Der Kirchheimer Dr. Wulf Gatter, geboren im Jahr 1943, ist ausgebildeter Forstökologe, zudem Ornithologe und Naturschützer und war 1970 Gründer der Forschungsstation Randecker Maar, einer wissenschaftlichen Einrichtung zur Langzeitbeobachtung des Vogel- und Insektenzuges. Dieses Phänomen, und damit die Bedeutung dieser Stelle für den Vogelzug, entdeckte Gatter im Jahr 1966, als er bereits seit mehreren Jahren an verschiedenen Pässen und Bergen der Schwäbischen Alb südlich von Kirchheim ziehende Vögel beobachtete. Er war mehrere Jahre im Vorstand des baden-württembergischen Nabu-Landesverbands und zehn Jahre als Ortsvorsitzender des NABU Kirchheim tätig. Bis heute ist er Mitglied der NABU-Bundesarbeitsgruppe Afrika.

Wulf Gatter hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „Die Vogelwelt der Kreise Nürtingen und Esslingen“ - viele der früher hiesigen Brutvogelarten seien längst ausgestorben - oder „Birds of Liberia“, das erste und bislang einzige Werk über die Vogelwelt der Länder entlang der westafrikanischen Küste. In seiner Tätigkeit als Forstökologe und als damaliger Leiter des Ökologischen Lehrreviers der Forstverwaltung Baden-Württemberg ging er Anfang der 80er-Jahre gemeinsam mit seiner Familie für drei Jahre als Entwicklungshelfer nach Liberia. Ziel des Projekts war es, die Regenwälder dort zu erhalten und wieder aufzuforsten. eis