Weilheim · Lenningen · Umland

Schwäbischer Superlativ: Ed schlecht

Konzert In Dialekt gesungener Folk-Rock mit „Wendersonn“ im Lindorfer Bürgerhaus. Die Band begeistert die Besucher mit witzigen, gefühlvollen und melancholischen Texten in Mundart. Von Günter Kahlert

„Wendersonn“ ließen die Besucher im Bürgerhaus immer wieder Mitmachen.Foto: Günter Kahlert
„Wendersonn“ ließen die Besucher im Bürgerhaus immer wieder Mitmachen.Foto: Günter Kahlert

Die Schublade „Dialekt“ mag Markus Stricker überhaupt nicht. Das erstaunt erst mal, denn er ist der kreative Kopf hinter „Wendersonn“, der seit Jahren angesagtesten Band mit schwäbischen Texten. „Dialekt klingt immer so exotisch, so gestrig, aber wir singen in unserer Muttersprache und die ist absolut aktuell“, erklärt der Musiker aus Sulzbach seine Aversion. Ihn ärgert, dass „Mundart in Süddeutschland oft nur über Selbstverarschung, Sarkasmus und Schenkelbatscher geht.“ Klar gibt‘s einige wenige Gegenbeispiele wie Grachmusikoff, aber das ändert seiner Ansicht nach nichts an dem angekratzten schwäbischen Selbstwertgefühl. Und da wollen „Wendersonn“ dagegenhalten, was ihnen bei ihrem Konzert im Lindorfer Bürgerhaus auch bestens gelang.

Die Gruppe aus dem Rems-Murr-Kreis kommt auf die Bühne und ist sofort präsent. Markus Stricker und Sängerin Biggi Binder dominieren die Bühne, nehmen auf Anhieb das Publikum im randvoll besetzten Lindorfer Bürgerhaus mit und liefern eine perfekte Show. „Wendersonn“ wirken sehr persönlich, nicht aufgesetzt, authentisch, ganz nah am Publikum. „Schwäbischer Folk-Rock“ ist einer der Stempel, den man den sechs Musikern gern aufdrückt. Trifft es und trifft es doch nicht. Mit ihrer Besetzung Gitarren, Schlagzeug, Keyboards, Geige, Bass oder auch mal Waschbrett gehen sie querbeet durch alle Musikstile. Folk, Rock, Blues, Pop, Skiffle, irisch, amerikanisch, gälisch - es gibt quasi nichts, was „Wendersonn“ nicht an musikalischen Quellen mischen und anzapfen.

Allein was Ausnahmegeiger Klaus Marquardt mit einer E-Violine zaubert, würde wahrscheinlich einen Abend tragen und kann bei den traurigen Liedern fast zu Tränen rühren. Und traurige, nachdenkliche Liedern haben bei aller Fröhlichkeit ihren Raum im Programm von „Wendersonn“. Markus Stricker ist passionierter Historiker und gräbt in der Geschichte der Schwaben. Da geht es um die Hungerzeiten im 19. Jahrhundert und die Auswanderung, um ein vierjähriges Gastarbeitermädchen, das ertrunken ist und vom Pfarrer nicht beerdigt werden soll oder um „Muaders Stub“ als Beschreibung früherer, beschwerlicher Zeiten. Dann aber wieder unbeschwerte Songs wie „Es schneielet, es beielet“ - und spätestens hier sind wir bei Wolle Kriwanek, der dieses alte Kinderlied auch in seinem Repertoire hatte.

Mit dem Wegbereiter der modernen schwäbischen Musik war Stricker eng befreundet. Der „Wolle“ hat ihn damals auch ermuntert, schwäbische Texte zu machen und zu singen. Nach Kriwaneks überraschendem Tod 2003 kam von dessen Ehefrau Irmi der Wunsch, das Erbe ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen. Und das tut „Wendersonn“ seit nunmehr zwölf Jahren, aber nicht als „Tribute Band“, die Kriwanek-Sachen nachspielt, sondern komplett eigenständig. Ein Konzert mit „Wendersonn“, das ist ein genialer Umgang mit Stimmungen. Mal überschäumende Fröhlichkeit, mal elegische schwebende Klänge à la Pink Floyd, mal witzige Texte, mal nachdenkliche oder traurige Geschichten. „Das ist halt wie das Leben, zwischen gut drauf und melancholisch ist alles dabei“, erklärt Markus Stricker den Spannungsbogen des Abends. Es zeigt vor allem, man kann auch in Schwäbisch sehr gefühlvolle und geistreiche Texte machen. So kommt ein Lied wie „Da ben i dahoim“ eben nicht volkstümelnd-kitschig daher, sondern authentisch, ehrlich.

Nicht nur die Besucher im Bürgerhaus waren begeistert von „Wendersonn“, auch die Band war es von ihren Fans. „Das haben wir absolut nicht erwartet“, freute sich Markus Stricker nach dem Konzert. Man könnte resümieren, der Abend war „ed schlechd“. Erklärung für Rei‘gschmeckte: das ist ein Lob, das Schwaben nur im Zustand überschwänglicher Euphorie verteilen, auch „schwäbischer Superlativ“ genannt.