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Schwangere und Alkohol: Nur „kein Schluck“ bedeutet kein Risiko

Gesundheit Auch geringe Mengen Alkohol in der Schwangerschaft können fatale Folgen haben. Die Kampagne „ZERO“ macht derzeit Station in der Kreissparkasse in Kirchheim. Von Thomas Zapp

Die Geräusche der Außenwelt verschluckt das Zelt-innere fast vollständig, zu hören ist ein gleichmäßiges Klopfen, der Herzton des Ungeborenen. Im rötlichen Licht sind die einzelnen Entwicklungsstadien des werdenden Kindes zu erkennen: Erleben geht über studieren, könnte das Motto der begehbaren Gebärmutter lauten, die derzeit im dritten Stock der Kreissparkasse an der Kirchheimer Alleenstraße aufgebaut ist. „Gerade Jugendliche kriegen ein besonderes Gefühl dafür, wie weit das Leben schon im Bauch der Mutter ist“, sagt Dr. Heike Kramer von FASD-Netzwerk Nordbayern, welches die Ausstellung entwickelt hat. 
Denn besonders Jugendliche gehören zur Zielgruppe der Ausstellung „Zero – kein Alkohol in der Schwangerschaft“. Die Erlanger Ärztin Heike Kramer ist als Mitglied des FASD-Netzwerks und Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung Mitinitiatorin der Ausstellung. Als sie die Gäste der Ausstellungseröffnung fragt, wer schon einmal etwas von „FASD“ gehört hat, geht mehr als die Hälfte der Hände in die Höhe. Die Ärztin ist überrascht: „Das ist viel“, sagt sie. Ihrer Erfahrung nach ist den meisten Menschen die „Fetal Alcohol Spectrum Disorder“ oder das Fetale Alkoholsyndrom unbekannt.

13000 Babys pro Jahr mit Folgeschäden

FASD ist eine Folge von Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. „Die Forschung sagt, dass in Deutschland jedes Jahr fast 13 000 Babys mit unheilbaren Alkoholschäden geboren werden“, sagt Heike Kramer. Die Auswirkungen können gravierend sein: von Hirnschäden über Hör- und Sehprobleme, Kleinwüchsigkeit, Lernschwächen und Konzentrationsstörungen bis zu Aggressivität und Depressionen. In 31 Jahren hat Heike Kramer viel erlebt. „Die Menschen mit FASD verlieren das Verständnis für Zeit und Geld, sie können ihren Alltag nicht strukturieren“, erzählt sie. Das mache viele aggressiv und oft auch depressiv. Sie können dabei sehr intelligent sein, sich auch Dinge merken, die dann plötzlich wieder weg sind. In der Ausstellung kann man dazu Erlebnisberichte von Betroffenen an einer Audio-Station hören. Dort bekommen Besucherinnen und Besucher einen Eindruck der Verzweiflung dieser Menschen. „Ich habe oft keine Lust zu leben“, sagt eine Stimme. 

„All das ließe sich verhindern, aber dazu braucht es einen langen Atem“, weiß Heike Kramer. Das liege auch an der gesellschaftlichen Akzeptanz von Getränken wie Bier, Wein oder Schnaps. „Wir sind sehr auffordernd beim Thema Alkohol. Wer nichts trinkt, ist schnell eine Spaßbremse.“ Deutschland habe den höchsten moderaten Alkoholkonsum. Es sind daher nicht nur alkoholkranke Frauen, deren Kinder geschädigt sind. „Es könnte jede Frau treffen“, betont die Ärztin. Früher habe man gedacht, eine kleine Menge Alkohol schadet nichts. Das gelte auch für alle Bildungsschichten: ob Schnaps oder Caipirinha spielt da keine Rolle.

Gläschen Sekt vor der Geburt?

Ihr selbst sei kurz vor der Geburt ihres Kinds der Tipp gegeben worden, ein Glas Sekt zu trinken. Aber: Jeder Schluck Alkohol kommt durch die Nabelschnur direkt zum Baby. Es hat also sofort denselben Alkoholpegel wie die Mutter. Aber: „Im Fruchtwasser kann der Abbau des Alkohols zehn Mal so lange dauern wie bei der Mutter“, betont Heike Kramer. Braucht die erwachsene Frau acht Stunden, um den Alkohol abzubauen, kann es beim ungeborenen Baby bis zu 80 Stunden dauern. 

Nicht immer müsse das zu Schädigungen führen, aber als Regel gilt zur Sicherheit jeglichen Alkohol wegzulassen: „Wenn schwanger, dann Zero“ lautet daher ein Motto der Ausstellung und der weiterführenden Vorträge. Oder wie es die Erlanger Ärztin sagt: „Kein Schluck, kein Risiko.“ Dazu gehöre auch, die Lebensmittelindustrie in die Pflicht zu nehmen, mit einem Warnhinweis für alkoholhaltige Pralinen zum Beispiel. Ihr Vorschlag: Die Darstellung einer Schwangeren, die ein alkoholhaltiges Angebot sichtbar und entschieden ablehnt. „Es gibt auch eine Version mit einer durchgestrichenen Schwangeren, das ist mir aber zu negativ. Sie soll selbstbestimmt agieren“, sagt Heike Kramer, der auch wichtig ist, Mütter von FASD-Patienten nicht zu stigmatisieren. Denn viele wüssten oftmals in den ersten Wochen ja auch nicht, dass sie schwanger sind. Wichtig sei auch der gesellschaftliche Diskurs. „Sobald es ein Alkoholproblem gibt, können wir nicht darüber sprechen“, meint Heike Kramer. Die Folgen kann man zumindest ansatzweise in der Ausstellung erleben – vielleicht regt das ja auch zum Sprechen über die Droge Alkohol an.