Experten sehen die Sekte als einen „als Kirche getarnten Wirtschaftsbetrieb“ – Jesinger betroffen
„Scientology ist eine Mogelpackung“

Nach Einschätzung des baden-württembergischen Verfassungsschutzes sind die Scientologen im Süden des Landes, auch im Raum Kirchheim, aktiver denn je. Deshalb ging ein hochkarätig besetztes Podium im Kirchheimer Bohnauhaus den Fragen nach „Ist Scientology eine Kirche?“ und „Wie gefährlich ist Scientology?“.

RICHARD UMSTADT

Kirchheim. Der eingangs gezeigte Film des Dokumentarfilmers Markus Thöß „Tod einer Scientologin“ erschütterte das Publikum in der sehr gut besuchten Veranstaltung (siehe unten „Suizid im Blick“. Die Informationsveranstaltung, oder wie es der Bad Cannstatter Scientologe Hubert Kecht in seinem Flugblatt nannte, die „antireligiöse Schmähveranstaltung“, verlief ohne Zwischenfälle. Einzig auf dem Gehweg vor dem Bohnauhaus standen zwei einsame Scientologen und verteilten Flugblätter.

Drinnen waren sich der Schweizer Sozialpädagoge Thomas Erlemann, der Scientology-Aussteiger Wilfried Handl aus Wien sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann, die Sektenexpertin Dr. Helga Lerchenmüller von ABI und die EBIS-Landesvorsitzende Liselotte Wenzelburger-Mack auf dem Podium einig: „Scientology ist keine Kirche.“ Bereits 1995 hatte das Bundesarbeitsgericht laut Aussage von Dr. Lerchenmüller festgestellt: „Scientology ist keine Religionsgemeinschaft, sondern ein als Kirche getarnter Wirtschaftsbetrieb.“

Vor 25 Jahren beschäftigte sich der Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann zum ersten Mal mit der Sekte. Daran änderte sich bis heute nichts. Erstaunt musste er feststellen, dass die Jesinger Scientologen, die inzwischen von der Brunnenstraße in die Kirchheimer Straße 28 umzogen, seit Jahren Kurse veranstalten und Bücher sowie CDs verkaufen, aber weder als Verein in einem Vereinsregister stehen noch ein Gewerbe anmeldeten. „Wie kann das sein, dass eine Gruppe so im rechtsfreien Raum agiert? Das ist doch alles sehr nebulös. Ich habe noch nicht gehört, dass die Steuerfahndung da reingegangen wäre.“

Leidvolle Erfahrungen mit der Sekte seit Mitte der 1970er-Jahre schilderte Dr. Helga Lerchenmüller von der Verbraucherschutzorganisation Aktion Bildungsinformation (ABI) in Stuttgart. Damals geriet ABI zum ersten Mal mit den Scientologen in der Landesmetropole in Konflikt, als die Verbraucherschützer per Gerichtsbeschluss erfolgreich der Sekte die Straßenwerbung untersagen ließen.

ABI ordnet Scientology mit seinen Heilsversprechungen, erfolgreicher, glücklicher und gesünder zu werden, dem boomenden und für den Laien schwer zu durchschauenden Psychomarkt zu, den sie seit Jahren beobachtet. „Dabei wurden Familien durch Scientology regelrecht zerrissen“, wusste Dr. Lerchenmüller aus ihrer langjährigen Erfahrung mit den Opfern der Sekte und deren Familien. Dr. Lerchenmüller plädierte deshalb für ein Verbot von Scientology: „Das wäre ein wichtiges Signal.“

Den Ausschlag, hinter die Fassade der selbst ernannten Kirche zu blicken, gab für die Landesvorsitzende der Eltern- und Betroffeneninitiative Baden-Württemberg (EBIS), Liselotte Wenzelburger-Mack, der Tod ihres Bruders, der aus Scientology aussteigen wollte. „Scientology ist keine Kirche, sondern eine Mogelpackung“, so Wenzelburger-Mack. „Eine Kirche braucht keinen Geheimdienst, wie Scientology einen hat, der versucht Kritiker mundtot zu machen. Eine Kirche braucht auch keine Kriegskasse, wie Scientology eine besitzt. Die Sekte hat außerdem eine eigene Gerichtsbarkeit und ein eigenes Straflager für abtrünnige Scientologen. Und Scientology hat eine eigene Sprache und definiert Begriffe um.“ Für Liselotte Wenzelburger-Mack ist die Sekte „eine totalitäre und menschenverachtende Organisation, die viele Familien zerstört“.

Das Publikum wollte mehr über den „als Kirche getarnten Wirtschaftsbetrieb“ und seine Tarnorganisationen wissen und fragte, warum die Stadt Infostände der Scientologen zulasse. Junge Jesinger Mütter sprachen ihre Sorge aus, dass Erziehungseinrichtungen in der Teilgemeinde von Sektenmitgliedern unterwandert würden und meinten: „Es ist eine Sauerei, dass Scientology in Jesingen sich nicht öffentlich dazu bekennt.“ Ein evangelischer Kirchengemeinderat aus Jesingen berichtete von einem Schreiben eines Münchner Rechtsanwalts der Scientologen an den Kirchengemeinderat, dieser solle die unwahre Behauptung unterlassen, eine bestimmte Person sei Scientologin. „Dabei kennt von uns niemand die Dame.“ Die Experten auf dem Podium werteten das Schreiben als typischen Einschüchterungsversuch der Sekte.

INFO

Wer sich informieren möchte, wo sich überall Scientology verbirgt, kann sich mit der Aktion Bildungsinformation (ABI) in Stuttgart in Verbindung setzen unter der Nummer 07 11/2 27 00 74.