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Sicherheit und ein Bett

Mit der Ankunft in Kirchheim beginnt für den Großteil der Flüchtlinge das lange Warten

Ein grünes Stück Papier ist Symbol für die Hoffnung von Flüchtlingen auf ein besseres Leben in Deutschland. Wer einen Asylantrag gestellt hat, für den öffnen sich erste Türen. Doch für die Mehrheit bedeutet dies langes Warten, wie das Beispiel Kirchheim zeigt.

Asylantragsstau -  Container Dettinger StraßeAsyl - Asylant
Asylantragsstau - Container Dettinger StraßeAsyl - Asylant

Kirchheim. Abdul S. ist ein glücklicher Mann. Kaum zu glauben, wenn man die Geschichte des 35-jährigen Somaliers kennt. Geflüchtet vor den Häschern der Al-Schabaab-Miliz hat er seine Frau und die fünf Kinder zurückgelassen, sich monatelang alleine quer durch die Sahara bis nach Libyen durchgeschlagen, bevor er an Heiligabend in einem Schlauchboot mit 150 Flüchtlingen an Bord in Sizilien strandete. Gerade noch rechtzeitig von der Küstenwache aufgefischt, nachdem das Boot bereits zu kentern drohte. Das alles nur, weil er in seiner Heimat, wo seit fast 30 Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg tobt, kein Terrorist werden wollte. „Ich bin Deutschland sehr dankbar“, sagt der schmal gebaute Mann mit den feinen Gesichtszügen. „Ich habe hier ein Bett, und ich bin sicher.“ Er spricht gutes Englisch, obwohl er nie eine Schule besucht hat. Für Bildung ist kein Platz im Krieg, der seine Kindheit aufgefressen hat.

Seit dieser Woche besitzt Abdul S. einen grünen Schein, der ihn als Antragsteller auf Asyl ausweist. Von seinen 99 Mitbewohnern in der Sammelunterkunft in der Dettinger Straße hat das bisher noch keiner geschafft. Der Termin kam plötzlich. Er hat sich in den Zug gesetzt und ist nach Karlsruhe gefahren. Andere haben weniger Glück, warten teilweise seit Monaten vergeblich auf ihre Registrierung. „Gut die Hälfte aller Flüchtlinge“, so schätzt Landratsamt-Sprecher Peter Keck, „kommen ohne Asylantrag zu uns.“ Das hat Folgen: Ohne Antrag laufen entscheidende Fristen nicht an. Fristen, die Reisefreiheit bringen, Arbeit ermöglichen oder einfach die Chance eröffnen, ein Bankkonto zu führen. Der Landkreis Esslingen muss einen Großteil des Geldes, das der Grundsicherung dient, deshalb in Bar ausbezahlen.

Die Landratsämter, die für die Unterbringung zuständig sind, schlagen längst Alarm. „Wir stehen unter gewaltigem Zuweisungsdruck“, sagt Peter Keck. „Man muss dafür sorgen, dass nur die Leute zu uns kommen, die das Antragsverfahren durchlaufen haben.“ So wie bisher, als Flüchtlinge erst nach Erfassung in den Erstaufnahmestellen des Bundesamtes auf die Unterkünfte verteilt wurden. Doch dem Bund fehlt trotz deutlicher Aufstockung im vergangenen Jahr das Personal. Die Folge ist ein gewaltiger Antragsstau. Nicht wenige Flüchtlinge werden schlicht vergessen. „Es gibt Leute, die sitzen ein halbes Jahr ohne Antrag hier“, sagt Keck. Für sie wurde in Heidenheim inzwischen eine eigene Aufnahmestelle geschaffen.

Für Asylsuchende gilt ab Antragstellung ein dreimonatiges Arbeitsverbot. Studierte oder ausgebildete Fachkräfte können sich danach einen Job suchen. Für alle anderen gilt die sogenannte Vorrangprüfung, die 15 Monate dauert und sicherstellen soll, dass kein Arbeitssuchender aus der EU für diesen Job in Frage kommt. Doch auch Fachkräfte tun sich ohne Sprachkenntnisse schwer. Ein schneller Einstieg in die Sprachförderung ist für Jutta Woditsch, die im Auftrag des Landkreises für die Arbeiter-Wohlfahrt (AWO) die Flüchtlings-Betreuung organisiert, besonders wichtig. „Die Leute brennen regelrecht da­rauf, Deutsch zu lernen“, weiß sie. Doch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Meist sind es pensionierte Lehrkräfte, die freiwillig mithelfen. Gewerbliche Anbieter ins Boot zu holen, geht meist nur über Spenden oder weitere Zuschüsse.

Abdul S. hat während seines Kurzaufenthalts in der Erstaufnahmestelle in Meßstetten ein paar Brocken Deutsch gelernt. Darauf ist er mächtig stolz. „Ich möchte arbeiten und Geld verdienen“, sagt er und träumt davon, dass auch seine Familie eines Tages hierherkommen kann. Die Sorge quält ihn. Er weiß, dass in seiner Heimat schon Kinder als Selbstmordattentäter dem Wahnsinn geopfert werden. „Somalia ist kein gutes Land“, sagt Abdul S. mit leiser Stimme. Sein Griff, mit dem er den grünen Karton umklammert, wird dabei fester.

Sicherheit und ein Bett
Sicherheit und ein Bett

„Wer den Anderen kennt, hat weniger Ängste“

Anwohner der Dettinger Straße und Flüchtlinge im Containerdorf wissen voneinander zu wenig. Das hat eine Informationsrunde mit Vertretern von Landkreis, Polizei und Flüchtlingshilfe gezeigt, zu der die Stadt diese Woche Bürger eingeladen hatte. Etwa 50 Kirchheimer sind dem Aufruf gefolgt. Was sind das für Männer, welche Gründe hat ihre Flucht, welche Sprache sprechen sie? Der Informationsbedarf ist groß. Konflikte, das wurde deutlich, beruhen meist auf Missverständnissen, die sich durch Unterschiede in Mentalität und Kultur ergeben. Von den 100 Flüchtlingen, die das Containerdorf in der Dettinger Straße bewohnen, stammt mehr als die Hälfte aus Gambia. Einem Land, in dem gesetzliche Willkür herrscht, in dem Regimegegnern und Homosexuellen lange Haftstrafen drohen. Viele der Männer, von denen die meisten erst Anfang zwanzig sind, haben studiert oder eine Berufsausbildung. Ihnen droht in ihrem Heimatland politische Verfolgung. Die übrigen Bewohner stammen aus Nigeria, Tunesien und den Bürgerkriegsländern Syrien und Somalia. „Wer den anderen kennt, hat weniger Ängste.“ Kirchheims OB Angelika Matt-Heidecker wirbt gemeinsam mit den Vertretern des Flüchtlings-Netzwerks um Offenheit im Umgang mit den Asylsuchenden. Fast alle der Bewohner in der Dettinger Straße, versichert AWO-Sprecherin Jutta Woditsch, sprechen gutes Englisch. Viele davon beherrschen gleich mehrere Sprachen. Matt-Heidecker wirbt um Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe und um Patenschaften als Begleitung im Alltag. Die Stadt geht mit gutem Beispiel voran. 80 Stunden im Monat dürfen die Flüchtlinge gemeinnützige Arbeit leisten. Fünf Stellen hat die Verwaltung dafür am Kirchheimer Bauhof geschaffen. In Zusammenarbeit mit dem Mehrgenerationenhaus Linde und dem Bürgerbüro sollen weitere folgen. Mit einem Tag der Begegnung will die Stadt gemeinsam mit dem Integrationsrat im Juni eine weitere Brücke schlagen.bk