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Sie lassen keinen allein sterben

Tod In der Kirchheimer Christuskirche stellen palliativ-medizinische Einrichtungen ihre Arbeit vor. Das Publikum weiß die Begleitung todkranker Menschen zu schätzen. Von Ruben Moratz

Haben täglich mit dem Tod zu tun: Dr. Franz Bihr, Dr. Alexander Golf, Michael Bihl und Sandra Beck (von links) leiten Einrichtun
Haben täglich mit dem Tod zu tun: Dr. Franz Bihr, Dr. Alexander Golf, Michael Bihl und Sandra Beck (von links) leiten Einrichtungen mit Palliativ- oder Hospiz-Ausrichtung in der Region.Fotos: Carsten Riedl

Angst, Sorge, Ratlosigkeit, Erschöpfung. Wenn große Worte bemüht werden, ist das oft ein Zeichen dafür: Sprachlosigkeit. Sprachlos sind die meisten Menschen in Bezug auf den Tod und das, was ihm vorausgeht, das Sterben. Weil es aber jeden etwas angeht, muss über das Thema geredet werden, meinen die Veranstalter eines Vortrags- und Diskussionsabends, der in der Kirchheimer Christuskirche stattfand. Unter dem Titel „Sterben in Würde ist möglich“ wurde die palliative Versorgung, also die Betreuung und Versorgung von todkranken Patienten, in der Region thematisiert. Die Palliativstation Nürtingen, die Diakoniestation Teck, die Arbeitsgruppe Palliativmedizin im Landkreis Esslingen und die Arbeitsgemeinschaft Hospiz in Kirchheim stellten ihre Angebote und Leistungen vor.

Für Alexander Golf, Leitender Oberarzt der Palliativstation Nürtingen, ist es wichtig, zu betonen, dass eine Palliativstation keine Sterbestation ist: „Das Sterben ist nicht das Ziel unserer Arbeit“, sagt er. Vielmehr geht es um Betreuung. Menschen, die so schwer erkrankt sind, dass sie keine Aussicht mehr auf Heilung haben, werden in dieser Einrichtung der Medius-Kliniken in Nürtingen beim Sterben begleitet.

Michael Bihl von der Diakoniestation Teck erläutert, dass hier 84 Menschen arbeiten. Fünf davon sind Palliativfachkräfte, wobei die Einrichtung auf der Suche nach weiteren ist. Es ist nicht leicht, Leute für diesen Beruf zu finden, sagt er: „Man muss in höchstem Maß einfühlsam sein und mit allen Sensoren wahrnehmen, was gerade dran ist.“ Die Diakonie betreut zwischen sechs und zehn Sterbende gleichzeitig. Dabei werden die Patienten oft bis zu sieben Mal täglich versorgt, im Schnitt etwa 25 Tage lang. Neben pflegerischen Tätigkeiten steht das seelsorgerliche Gespräch im Mittelpunkt. „Sehr wichtig ist Zeit“, sagt Michael Bihl: „Wenn wir sagen können ‚Ich bin da‘ ist das oft schon großer Trost.“ Das Ziel der Arbeit ist, die bestmögliche Lebensqualität und Selbstbestimmung der Sterbenden zu erhalten.

Die Koordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Hospiz in Kirchheim, Sandra Beck, macht klar: „Im Sterben ist keine Situation wie die andere.“ Die AG besteht hauptsächlich aus Ehrenamtlichen, die kranke Menschen zu Hause sowie in der Klinik begleiten. Sie übernehmen keine pflegerischen Tätigkeiten, sondern unterstützen den Betroffenen und dessen Angehörige mit Gesprächen und ihrer Erfahrung. „Wir sind keine Sterbe-Experten“, sagt Sandra Beck. Sie selbst und ihre Mitarbeiter hören im privaten Kontext oft Dinge wie „Dass du das kannst! Für mich wäre das nichts.“ Doch Sandra Beck hebt hervor, wie wertvoll der Kontakt zu Sterbenden ist: „Da gibt es keinen Small Talk mehr. Es entstehen echte Gespräche.“

Nach den Kurzreferaten erhält das Publikum die Möglichkeit zur Nachfrage. Die ersten fünf Wortmeldungen haben alle dieselbe Aussage: Danke für diese wertvolle Arbeit. Einige der rund 100 Zuhörer mussten bereits geliebte Menschen beerdigen. Den Mitarbeitern der Palliativ- und Hospiz-Einrichtungen verdanken sie, dass sie dabei nicht allein waren und den Schmerz nicht allein ertragen mussten. Sie haben erfahren, was Astrid Lindgren im Buch „Ronja Räubertochter“ so ausdrückt: „Lange saßen sie da und hatten es schwer. Aber sie hatten es gemeinsam schwer und das war ein Trost. Leicht war es trotzdem nicht.“

Die Geschichte der Palliativmedizin

Der Gedanke, dass Sterbenskranke auf ihrem letzten Weg begleitet werden, ist so alt wie die Menschheit. Im Mittelalter entstanden spezielle Einrichtungen, etwa Hospize, also Häuser, in denen Menschen im Sterben betreut wurden. Ein französisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert macht deutlich, dass der Gedanke der Palliativmedizin schon damals im ärztlichen Handeln verankert war: „Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer.“

Als Gründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin gilt die englische Ärztin Cicely Saunders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definierte 1990 zum ersten Mal das Betreuungskonzept „Palliative Care“: Die Schmerzlinderung spielte dabei die größte Rolle. Im Jahr 2002 wurde diese Begriffsbestimmung überarbeitet: Auch die Bedürfnisse der Angehörigen wurden nun berücksichtigt.

In Kirchheim wurde 1984 die Arbeitsgemeinschaft Hospiz gegründet. Ausgebildete ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter arbeiten hier daran, dass der Hospiz-Gedanke umgesetzt wird. Seit 2007 wird die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in Deutschland von den Krankenkassen auch dann übernommen, wenn sie zu Hause geschieht. In Kirchheim leistet maßgeblich die Diakoniestation Teck diese Aufgabe.rmo