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Sie macht Politik auf engstem Raum

Premiere Die Kirchheimer FDP-Politikerin Renata Alt sitzt zum ersten Mal im Bundestag. So langsam kehrt dort Ordnung ein. Ein Besuch in Berlin. Von Mona Beyer

Es war ihr großer Moment am 23. Februar 2018: „Der Stopp von Rüstungsexporten in diese Region ist ein wichtiger Schritt.“ Renata Alt, neu gewählte FDP-Bundestagsabgeordnete aus Kirchheim und Expertin für Außenpolitik, hält ihre erste Rede im Plenarsaal des Reichtagsgebäudes. Es geht um die humanitäre Katastrophe im Jemen, wo Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind. Alt spricht ruhig, aber bestimmt - und ohne sich anmerken zu lassen, dass es eine Premiere ist. „In Anbetracht der Entwicklung in den letzten 48 Monaten war dieser Schritt allerdings längst überfällig.“

Erster Auftritt auf großer Bühne

Was so harmlos klingt, hat die 52-jährige Politikerin einige Überlegungen gekostet. Wie scharf kritisiere ich die Regierung in meiner ersten Rede? Wie weit lehne ich mich für meine Überzeugungen aus dem Fenster? Der erste Auftritt ist ein wichtiger Moment für die Neuen im unübersichtlichen 709-köpfigen Bundestag. Längst nicht jeder hat seine Jungfernrede schon gehalten. Bei Renata Alt siegt am Ende der Kompromiss, eine kleine Spitze in Richtung Union und SPD: Es hätte schneller gehen müssen, angesichts der fatalen Lage. Von ihren Kollegen hat sie dafür im Nachhinein viel positives Feedback bekommen, erzählt sie jetzt, einige Wochen später, in ihrem Berliner Büro im Regierungsviertel.

Seit sie im September 2017 in den Bundestag gewählt wurde, hat Renata Alt zwei Wohnorte: ihr altes Zuhause bei ihrem Mann in Kirchheim und ein Hotelzimmer in Berlin-Mitte, das sie, wie sie selbst sagt, erst fünfmal bei Tageslicht gesehen hat. Dort wohnt sie während der Sitzungswochen, wenn man es denn „wohnen“ nennen kann. Vor allem schläft sie dort, wenn sie nicht gerade im Plenarsaal ist, von Termin zu Termin rennt oder im Auswärtigen Ausschuss, in den sie von ihrer Fraktion gewählt wurde, wichtige Belange diskutiert.

Das Berliner Chaos traf auch Alt

Ihr Berliner Büro lässt wenig Schlüsse auf die Kirchheimerin zu. Eine Sitzecke, ein Schreibtisch, ein Regal - schick, aber unauffällig. Das Markanteste ist im Moment der Blick aus dem Fenster, wo sich Betonklötze nur wenige Meter von der Glasscheibe entfernt auftürmen. Es wird fleißig gebaut. Noch vor Kurzem herrschte das Chaos nicht nur vor Renata Alts Büro, sondern auch mittendrin. Wochenlang musste sich die FDP-Politikerin 16 Quadratmeter mit einem anderen Abgeordneten und einigen Mitarbeitern teilen. Grund ist der überraschend große Bundestag der neuen Legislaturperiode: 709 Abgeordnete haben jetzt einen Sitz in Berlin - so viele wie noch nie. Und alle brauchen Büros, die erst mal gefunden werden müssen. Ein halbes Jahr nach der Wahl kehrt zumindest im Büro von Renata Alt, das sie seit wenigen Wochen für sich hat, Ruhe ein. „Endlich!“, ruft sie und seufzt. Das Timing ist gut. Denn seit sich die neue Regierung am 14. März gebildet hat, nimmt das Tempo in den Sitzungswochen in Berlin rasant an Fahrt auf. Renata Alt ist Berichterstatterin für Osteuropa im Auswärtigen Ausschuss. Das ist das Fachgebiet der gebürtigen Slowakin. Dass Ost und West in diesen Zeiten wieder auseinanderzudriften scheinen, bereitet der überzeugten Europäerin Kopfzerbrechen. „Wir brauchen einen intensiven Dialog und enge Abstimmung zwischen Ost- und Westeuropa“, sagt sie und fügt hinzu: „Andernfalls drohen wir in eine kritische Phase zu schlittern.“ Die 52-Jährige hat reichlich Erfahrungen in der Diplomatie und setzt sich schon seit vielen Jahren für den europäischen Dialog ein: Renata Alt war in den 90ern im Außenhandelsministerium in Prag tätig, später wurde sie Wirtschaftsattaché im damals tschechoslowakischen Generalkonsulat in München.

Alt mag das Berliner Flair

Die lange Phase der Regierungsbildung, das Büro-Chaos, die strikt durchgetakteten Sitzungswochen, die Pendelei zwischen Hauptstadt und Kirchheim - all das hat dazu geführt, dass sich Renata Alt bisher wenig Zeit genommen hat, richtig in Berlin anzukommen. Dabei kann ihr Mann die Besuche in der Hauptstadt kaum abwarten, wie sie lachend erzählt. Beide sind große Kunstfans, die gerne durch die Berliner Galerien schlendern oder abends ins Theater gehen. Ein Hauch von Galerie-Atmosphäre soll Gäste auch bald in ihrem Büro erwarten. Renata Alt will dort Werke des slowakischen Künstlers Edo Timko aufhängen. Und wenn dieser Punkt - einer von vielen auf der Liste der Neu-Abgeordneten- abgehakt ist, kann vielleicht sogar bald die Wohnungssuche beginnen.

Alts Berlin-Tipps

Berliner Museumsinsel: Wer die Berliner Museumsinsel nicht gesehen hat, hat ein Stück deutscher Geschichte verpasst. Davon ist Renata Alt überzeugt. Das weltweit einzigartige Ensemble gehört seit 1999 zum Unesco-Welterbe. Für Renata Alt ist es vor allem eins: wichtige Allgemeinbildung.

Richtig guter Kaffee: Wenn es um Berlin geht, hat Renata Alt einen Geheimtipp: Die „Berliner Kaffeerösterei“ in der Uhlandstraße. Schon früher sei sie mit ihrem Mann bei jeder Reise in die Hauptstadt dorthin gekommen. „Es lohnt sich.“

Museum für Fotografie: Das Museum für Fotografie und die Helmut-Newton-Stiftung am Bahnhof Zoo präsentieren Formen der Fotografie vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Für die kunstbegeisterte Renata Alt ist es ein Paradies, und auch für jeden anderen wohl einen Ausflug wert.mona