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Sogar die Bundeskanzlerin war schon da

Gastronomie Seit 150 Jahren heißt das Neidlinger Lamm Gäste willkommen. Eine 175-Jahr-Feier wird es aus heutiger Sicht nicht geben, sagt Wirt Thomas Eberhardt. Von Peter Dietrich

Vor 150 Jahren, im Jahr 1873, sah das Neidlinger Lamm noch ganz anders aus als heute. Es war damals ein landwirtschaftlicher Betrieb, der im ersten Stock eine Vesperwirtschaft hatte. Christian Eberhardt, der Ururgroßvater des jetzigen Lammwirts Thomas Eberhardt, hatte Sophie Gienger geheiratet, deren Vater schon mit gut 40 Jahren gestorben war. Er zog vom Hofgut auf dem Reußenstein zu ihr in den Ort hinunter. „Der muss clever gewesen sein“, sagt sein Ururenkel. „Er hatte technisches Verständnis und Geld, er war damals der größte Landwirt in Neidlingen.“ Das Lamm war auch die Poststation von Neidlingen, die letzte Postkutsche fuhr 1926.

Nummer zwei der Ahnenreihe, Georg Eberhardt, wurde 1874 geboren, ein Jahr nach Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs durch den Vater. Als Metzger und Schafhalter sorgte er für eine gute Auslastung des Schlachthäusles. Es stand dort, wo heute der Lammsaal ist. Als Anfang des 20. Jahrhunderts der Lammsaal angebaut wurde, wurde das Schlachthaus daneben neu gebaut. Die Saalbühne wurde erst später ergänzt.

Der Saal hat schon viele Nutzungen erlebt: Er war Schlafquartier für Kriegsgefangene, gab während der Kirchenrenovierung den Gottesdiensten Heimat, er diente in den 1950er-Jahren als Kinosaal und es gab dort Tanzkurse. Der heutige Lammwirt, der den Gasthof im Jahr 1998 übernahm, nutzte den Saal für sein Kulturprogramm. Das sei anfangs der Renner gewesen, erzählt er. „Ich war damals der einzige.“ So waren auch mal 200 Leute drin. Grachmusikoff und Werner Dannemann waren genauso zu Gast wie Uli Keuler, Erotic Explousch’n und die Bronnweiler Weiber. Einmal war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel da, allerdings nur von der Kabarettistin Marianne Schätzle – sehr gekonnt – verkörpert. Noch heute dient der Lammsaal für größere Feiern, etwa einen Geburtstag oder eine Hochzeit. Zur Feier des 150. Familienjubiläums mit Krimilesung, Livemusik und Menü am 10. März hatten sich 55 Gäste angemeldet.

Die Nummern drei und vier der Ahnenreihe, geboren in den Jahren 1910 und 1938, hatten beide denselben Vornamen: Max. Der zuerst Geborene war im Zweiten Weltkrieg als Feldkoch in Polen und der Ukraine und kam nicht zurück, sein letzter Brief stammt vom Januar 1945. Die beiden Söhne waren als Wirte noch viel zu jung. „Meine Oma Anna hat mit Angestellten den Betrieb weitergeführt“, erzählt Thomas Eberhardt. Sie sei kurz vor dem Aufgeben gewesen. Max II. lernte dann Metzger, übernahm das Lamm und schlachtete auch selbst. Ende der 1960er-Jahre ließ er den Stall abreißen und durch einen Lebensmittelmarkt ersetzten – dieser ist bis heute der allseits geschätzte Nahversorger von Neidlingen.

Als Thomas Eberhardt vor 25 Jahren in fünfter Generation übernahm, versuchte er bei der Renovierung einen Zwischenweg zu finden – eine moderne, aber zeitlose Gestaltung mit heimischen Hölzern. „In den letzten 20 Jahren ist das Ambiente wichtiger geworden als das Essen“, stellt er fest. Zu ihm kommen viele Stammgäste, die die familiäre Atmosphäre und gleichbleibend gute Qualität des Lokals, das zur regionalen Initiative „Schmeck den Süden“ gehört, schätzen. Natürlich hat sich die Speisekarte im Lauf der Jahrzehnte gewandelt. „Essen ist heute ein Politikum“, sagt der Wirt. „Vegetarisch ist ein fester Posten geworden, die Nachfrage bei Frauen größer als bei Männern, auch hier muss man den Gästen eine Auswahl bieten.“ Für vegane Gerichte auf der Karte sei die Nachfrage zu gering, Ersatzzutaten würden ihm verderben, aber auf Vorbestellung gibt es solche Gerichte ebenfalls.

Seiner noch kleinen Tochter würde er eine Nachfolge als Wirtin allerdings nicht empfehlen, sagt Thomas Eberhardt, die Umstände seien zu schwierig. Sofern sie nicht einmal total von der Gastronomie begeistert sei und einen Koch heirate, sei klar: „Eine 175-Jahr-Feier wird es nicht geben.“