Kirchheim. Der Ton war gelassen sachlich, wie von Kirchheims Archäologie-„Urgestein“ Rainer Laskowski gewohnt, die Aussage dagegen ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Ich fühle mich verschaukelt!“. Damit machte er zu Beginn seines Vortrags über die Kirchheimer Stadtgeschichte und die Arbeit der „Archäologie-AG“ seinem Ärger über den mittlerweile vierten Umzug des Museumsmagazins in den vergangenen 30 Jahren unmissverständlich Luft. Jetzt würde man nach Nabern umziehen, aber nur mit einem Mietvertrag auf fünf Jahre. Wieder keine langfristige Lösung, das ärgert Rainer Laskowski.
Aber die Spitzen gegen die Stadtverwaltung standen nicht im Mittelpunkt seines Vortrags. Es war ein bebilderter Streifzug durch die Arbeit der letzten 30 Jahre und ein dickes Lob an die engagierten Mitstreiter aus der 1986 gegründeten „Archäologie-AG“. Zwölf Aktive sind es derzeit, davon drei noch aus der Gründungsformation. Initialzündung für die „Archäologie-AG“ waren die Ausgrabungen in der Heidenschaft, erzählt Rainer Laskowski. Dort hatte man Gefäße entdeckt, in denen die Nachgeburt im Keller aufbewahrt wurde. Äh, was bitte, die Plazenta? Geduldig erklärt Laskowski den skurril anmutenden Brauch. „Das war über Jahrhunderte tief verwurzelter Aberglaube oder Volksglaube“. Damit wollte man die Gesundheit und das Aussehen nachfolgender Kinder günstig beeinflussen. Wie man die Nutzung der Töpfe feststellen konnte? Es war wie bei CSI im Fernsehen: wissenschaftliche Untersuchungen des Topfinhalts, gefunden wurden Östrogene und andere Hormone. Bingo. Jedenfalls waren diese Bräuche in der Branche bis dahin unbekannt, und die Archäologen waren erstaunt, diese Artefakte ausgerechnet in protestantischen Gegenden zu finden.
Ein Fundstück lässt Rainer Laskowski und das Archäologie-Team nach wie vor rätseln: ein umgedrehter Topf mit einem Drudenfuß (Pentagramm, fünfzackiger Stern). Offensichtlich diente es der Abwehr böser Geister, aber was war darunter? „Das bedarf noch weiterer Forschung“, meint der Archäologe dazu, die hartnäckige Kleinarbeit der Fachleute eben.
Fundstellen zu entdecken, sie sorgsam – und oft unter Zeitdruck – auszuwerten und die archäologischen Schätze zu sichern, ist das eine, es gewissenhaft für die Fach- und Nachwelt zu dokumentieren, eine ganz andere Sache. Digitale Aufzeichnungen gibt es schon seit Beginn der „Archäologie-AG“, allerdings haben sich Medien und Lesegeräte dramatisch verändert. Ein Beispiel: die großen Disketten von einst, heute gibt es längst keine entsprechenden Geräte mehr. Und da wären noch die Dias der AG. „Wir fotografieren seit 2005 digital, da liegt also alles vor“, erzählt Laskowski. Aber die Zeit davor ist fotografisch auf über 10 000 Dias festgehalten, die müssen eingescannt werden. „Das ist richtig viel Arbeit“, erkennt der Fachmann klar. Wer zu Hause schon mal seinen kompletten Diabestand gescannt hat, weiß, wovon er spricht.
Neueste Technik wurde bei den aufsehenerregenden Grabungen am Hegelesberg eingesetzt. Die hatte das Denkmalamt übernommen, denn „mit der Dimension waren wir überfordert“, erzählt Laskowski. Dort wurden GPS-gesteuerte Drohnen eingesetzt, das sei ein unglaublicher Zeitgewinn für die Vermessung und Dokumentation. 15 Minuten Drohnenflug würden so viele Informationen bringen wie drei bis vier Tage Arbeit am Boden.
Den spontanen Eindruck, man müsse hier im Stadtgebiet nur irgendwo graben und irgendwas findet man immer, korrigiert Laskowski. „Wir machen keine ,Lustgrabungen‘. Wir sind beschränkt auf Flächen, die verloren gehen, die gefährdet sind.“ Das allerdings sei immer ein gewisses Abwägen von Wissen und Glück oder Zufall. Aktuelle Projekte nennt er nicht, aber die bereits vorhandene To-do-Liste an Aufgaben dürfte mehr als ausreichend sein.
Die zu Rainer Laskowskis Vortrag passende Ausstellung „30 Jahre Stadtarchäologie – Spuren aus 7 500 Jahren Siedlungsgeschichte“ läuft noch bis 4. Oktober im Städtischen Museum im Kornhaus.