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Stammtischparolen helfen keinem

Wo die EU versagt, wollen sie nachhelfen: Für ein Flüchtlings-Projekt kommen Schüler aus ganz Europa nach Kirchheim

Aus der Slowakei, Italien, Finnland, Estland, Polen und der Türkei waren diese Woche Schüler an der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule zu Besuch. Gemeinsam gründen sie eine Initiative für mehr Wissen zur Flüchtlingslage in Europa – hier und in den Herkunftsländern.

Für ihren Film interviewen die europäischen Schüler Flüchtlinge aus Gambia. Foto: Claudia Häfner
Für ihren Film interviewen die europäischen Schüler Flüchtlinge aus Gambia. Foto: Claudia Häfner

Kirchheim. „Mit Stammtischparolen hilft man im Moment niemandem“, sagt Claudia Häfner, Lehrerin an der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule in Kirchheim. Bei dem gemeinsamen Erasmus-Projekt von sieben europäischen Schulen „Say no to indiffe­rence – refugees and migrants in Europe“ gilt deshalb: Selbst mit anpacken und Wissen verbreiten. Für Häfners Schüler ist das die ideale Gelegenheit, aufzuarbeiten, was sie jeden Tag aus dem Fenster beobachten können. Die Kreissporthalle liegt direkt gegenüber. Dementsprechend groß sei das Interesse an dem Thema.

Am Sonntag sind für das Projekt die Schüler und Lehrer aus den europäischen Partnerschulen in Kirchheim angekommen. Fast eine Woche später steigen sie um eine Menge Eindrücke reicher wieder in Zug und Flieger. Es war das erste Treffen der Gruppe für ihr laufendes Projekt. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden sich die Schüler in jedem der Länder einmal wiedersehen. In dieser Woche wurde der Grundstein für ihr ambitioniertes Vorhaben gelegt: Ein Projekt, das nicht nur in Kirchheim bleiben soll.

„Wir haben uns genau überlegt, welche Partnerschulen für unser Programm sinnvoll sind“, erklärt Jens Kaiser, stellvertretender Schulleiter. „Jedes Land hat einen ganz eigenen Aspekt in Bezug auf unser Thema“: Die Türkei als Durchreiseland auf dem Landweg, Italien mit seinen riesigen Auffanglagern, dagegen Estland mit sehr wenigen Asylbewerbern, die für das Land momentan trotzdem eine große Bürde sind. „Natürlich ist das ungerecht verteilt in Europa. Die Länder können nicht länger wegsehen und sagen: Die Menschen kommen in Italien an, das ist ein italienisches Prob­lem“, sagt Häfner.

Wenn sie und die Teilnehmer mit dem Projekt also „Nein“ zu Gleichgültigkeit sagen, meinen sie nicht nur Gleichgültigkeit gegenüber Flüchtlingen. Auch Gleichgültigkeit gegenüber europäischen Nachbarländern wird in dem Programm zum Thema: „Wenn jedes Land nur seine eigene Politik macht, gibt es auch keine Lösung.“ Kaiser pflichtet ihr bei: „Europa versagt da im Moment total.“

Häfner und Kaiser finden, es ist Zeit, das besser zu machen: „Say no to indifference“ führe die Schüler auf die emotionale Ebene der Krise. Sie besuchen die Flüchtlinge in Ochsenwang, führen Interviews mit ihnen und Sozialarbeitern, treffen endlich die jungen Männer, die zwar im gleichen Gebäude die Schulbank drücken, mit denen sie aber noch nie zuvor ein Wort gewechselt haben.

Gegen diese Begegnung komme nicht mal ein Besuch im Daimler-Werk an: „So etwas schauen die sich halt an – aber der Besuch in Ochsenwang war das absolute Highlight für die Schüler“, hat Jens Kaiser beobachtet: „Mir wurde gleich danach gesagt: Das kann jetzt nichts mehr toppen.“ Seine Kollegin ergänzt: „Die Erfahrung bleibt für immer. Über Daimler redet in vier Wochen niemand mehr.“

Ziel des gemeinsamen Projekts der Schulen ist es, eine „Action Group“ zu gründen: Eine Art Bürgerinitiative, die auch nach den zwei Jahren Projektarbeit weiter besteht – so erhoffen es sich zumindest die Pädagogen. Mit einer Homepage und einem selbst produzierten Film wollen sie ihre Nachricht in die Welt tragen: Auch in Europa fließen Milch und Honig nicht.

Gleichzeitig sammeln die Schüler internationale Erfahrungen: Wie wird in anderen Ländern mit der Flüchtlingswelle umgegangen? Was läuft dort besser und was schlechter? „Man kann sich viel voneinander abschauen“, ist sich Claudia Häfner sicher. Und das Projekt hat noch einen weiteren Effekt: Abends sehe man jetzt gambische und Kirchheimer Schüler gemeinsam draußen Fußball spielen. „Das ist doch die beste Basis für eine gelungene Integration“, lässt Häfner hoffen. „Selbst, wenn man nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede wahrnimmt – die Berührungsängste haben extrem abgebaut.“

Mehr zum Projekt

Wer sich für das Erasmus-Plus-Projekt (ehemals Comenius) der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule interessiert, findet im Internet weitere Infos: Auf der Seite www.jfs.de/welcometoeurope gibt es erste Ergebnisse des Treffens in Kirchheim, Fotos der Begegnungen und Videos der Schüler.