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„Stella“ spaltet die Gemüter

Lesung Takis Würger hat in der Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann seinen umstrittenen Roman vorgestellt.

In seinem Element: Takis Würger bei der Lesung.Foto: Thomas Krytzner
In seinem Element: Takis Würger bei der Lesung.Foto: Thomas Krytzner

Selten hat ein Roman eine derartige Resonanz in den Medien erhalten. Herausgekommen sind zahlreiche heftige Verrisse und ein regelrecht empörter Hype durch die Literaturkritik. Vor Kurzem wurde wegen dieses Romans sogar Strafanzeige gegen den Spiegel-Redakteur Takis Würger gestellt.

Dies alles wäre schon Grund genug, auf eine Lesung dieses Buches zu verzichten, um sich den späteren Kundenärger zu ersparen. Doch die Kirchheimer Buchhandlung Zimmermann zeigte sich mutig, allen voran Geschäftsführerin Sibylle Mockler. Sie brachte es auf den Punkt: „Takis Würger hat mutig Genres gemischt. Sein Roman hat einen fiktionalen Text, der mit geschichtlich realen Figuren und Texten unterlegt ist.“ Gerade wegen der heftigen Kritik hatte Sibylle Mockler befürchtet, der Autor könnte seine Lust an den Lesungen verlieren.

Takis Würger ist ein vielfach ausgezeichneter Autor und Redakteur. Beim Nachrichtenmagazin produziert der 33-Jährige hauptberuflich Reportagen. Und wenn er nicht gerade irgendwo in Afghanistan über das Kriegsgeschehen vor Ort berichtet, widmet er sich der Schriftstellerei. Sein aktuellstes Werk ist „Stella“: Der Roman kam Anfang des Jahres auf den Markt und beschäftigte die Kritiker. Takis Würger hätte mit einer solchen Resonanz nie gerechnet. „Ich habe noch nie die Zeit so bewusst im Hier und Jetzt verbracht wie in den vergangenen sechs Wochen“, bestätigte der Autor.

Durch die Kritik in den Zeitungen habe er danach den Hass der Leser befürchtet. „Immerhin steht meine E-Mail-Adresse hinten im Buch - mit der Aufforderung zum Feedback“, schmunzelte Würger. Und die Mails kamen: 700 an der Zahl. Allerdings waren, wie der Journalist erleichtert feststellte, nur acht Hass-E-Mails dabei. „Die restlichen 692 fanden das Buch gut. Eine Leserin schrieb, dass sie das Buch zwar fertiggelesen habe, aber noch lange nicht damit fertig sei.“

Takis Würger hat seitdem 25 Lesungen gehalten, und der Gedanke ans Aufgeben wurde immer größer. „Ich mag zwar keine Therapeuten, aber mein Bruder, ein Trauma Spezialist, hat mich wieder auf den Weg gebracht.“ Der Roman, um den es geht, spielt im Jahr 1942, mitten im Kriegsgeschehen und der Judenverfolgung. Diese Geschichte basiert auf einem Erlebnis, das Takis Würger im Musical „Cabaret“ hatte. Er fand die Faszination, Liebe und Terror zu vergleichen, so spannend, dass er Wahres und Fiktionales verbinden wollte.

Die Protagonisten sind Friedrich, ein Maler mit Farbenschwäche, Stella, die von der Gestapo erpresst wurde und Tristan, Stellas bester Freund. Friedrich ist Schweizer und wuchs nahe Genf auf. Dort lernte er in gut situierten Verhältnissen nicht nur malen, sondern auch die Liebe zur Ehrlichkeit. Und genau diese wurde ihm zum Verhängnis im Roman. Als Friedrich nämlich im Knabenalter einen Kutscher verärgerte und es auch noch zugab, verletzte dieser ihn so sehr, dass er einen Teil der Sehkraft einbüßte. Damit war es erstmal vorbei mit der Malerei. Grund genug für ihn, von zu Hause zu verschwinden. Sein Drang zur Wahrheit führte Friedrich nach Berlin. Durch Erzählungen hatte er von der Verfolgung der Juden vernommen und nun wollte er wissen, was an diesen Gerüchten dran ist.

„Ich würde es noch mal so schreiben“, sagt Takis Würger. Die Fakten bekam er zum Teil von Zeitzeugen. „Ich habe zweieinhalb Monate am Bett von einem Auschwitz-Überlebenden verbracht.“ Der 33-Jährige findet es absurd, dass nur Opfer über diese Zeit schreiben dürfen. „Die Täter müssen auch berichten, denn die Zeitzeugen sterben weg.“ Er warnt davor, dass die Vergangenheit vergessen werden könnte. „Mein Roman spielt in der Diktatur ohne freie Meinungsäußerung, heute ist es anders. Eine liberale Demokratie erfordert den Streit.“ Dafür hat Takis Würger mit seinem Roman gesorgt.Thomas Krytzner