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Tapetenwechsel: Von der Teck an den Teide

Neubeginn Familie Villamar Ruiz zieht es ans Meer und in die Wärme – sie wandert nach Teneriffa aus. Die Geschäftsführerin des Kirchheimer Brückenhauses wird Leiterin des Kindergartens an der deutschen Schule. Von Iris Häfner

Auf gepackten Koffern sitzt Familie Villamar Ruiz. Foto: Markus Brändli
Auf gepackten Koffern sitzt Familie Villamar Ruiz. Foto: Markus Brändli
Teneriffas größte Erhöhung: den Teide
Teneriffas größte Erhöhung: den Teide

Dieser Jahreswechsel hat es für Familie Villamar Ruiz in sich: Weihnachten feiert sie noch in Kirchheim, Silvester dann auf Teneriffa. Dazwischen liegen jedoch einige Trennungstage, denn Vater Alberto setzt sich am zweiten Feiertag allein ins vollgepackte Auto und fährt in Etappen bis ins spanische Huelva nahe der portugiesischen Grenze. „Ich habe die drei Übernachtungen entlang der Strecke schon gebucht“, verrät Jessica Villamar Ruiz, denn schließlich soll ihr Mann entspannt und damit unfallfrei an der Fähre ankommen. Dort muss er sich allerdings in Geduld üben, denn die Überfahrt dauert etwa 35 Stunden. „Ich habe es deutlich einfacher, denn ich fliege mit den Kindern und unserem Hund Katina am 30. Dezember nach Teneriffa, sodass wir - wenn alles nach Plan läuft - auf der Insel gemeinsam ankommen“, erzählt Jessica Villamar Ruiz, bis vor Kurzem Geschäftsführerin des Kirchheimer Bürckenhauses.

Dem Winter in Deutschland entfliehen

Sie freut sich schon riesig, Silvester mit ihrer Familie in der neuen Heimat feiern zu können. Schließlich ist die Auswanderung eigentlich ihr zu verdanken, wenn auch der Wunsch ihres Mannes maßgeblich dazu beigetragen hat. „Für ihn es schon die dritte Auswanderung“, sagt seine Frau. Alberto Villamar Ruiz kommt aus Ecuador und ist mit 19 Jahren nach Mailand gezogen, wo eine Cousine lebte. Jessica Villamar Ruiz war dort in Urlaub - und lernte so ihren späteren Mann kennen. Ihr zuliebe entschloss er sich, nach Deutschland zu ziehen. Mit den langen, kalten und dunklen Wintern konnte er sich in zwölf Jahren jedoch nicht anfreunden, weshalb unterschwellig schon länger die Idee im Raum stand, woanders einen Neuanfang zu wagen. Bei den Voraussetzungen war sich das Ehepaar einig: Die Kinder müssen auf eine gute Schule gehen können, es muss warm und am Meer gelegen sein, und natürlich muss dort Spanisch gesprochen werden, denn die Kinder wachsen zweisprachig auf. „Seit ich Kinder habe, will ich in Europa bleiben, Südamerika kam nicht mehr infrage“, sagt Jessica Villamar Ruiz. Auch darin waren sich beide einig. „Wir fühlen uns innerhalb von Europa einfach sicherer. Über mein halbes Leben bin ich aus Ecuador weg. Ich habe mehr die europäische Mentalität“, sagt Alberto Villamar Ruiz. Die deutsche Kultur hat er in all den Jahren zu schätzen gelernt - es stimmen halt für ihn die klimatischen Bedingungen nicht so ganz.

Deshalb ergriff das Ehepaar die Gelegenheit beim Schopfe, als sie sich fast zufällig ergab, denn allzu viel Vorlaufzeit für ihre Auswanderung hatte die Familie nicht. Immer mal wieder hat Jessica Villamar Ruiz im Internet nach möglichen Stellen im warmen Ausland gestöbert, ohne ernsthaft an eine Bewerbung zu denken. Doch dann war da die Stelle für die Kindergartenleitung der deutschen Schule auf Teneriffa. Das klang verlockend für die Sozialpädagogin. Etwa 180 Kinder sind dort zu betreuen. Die Arbeit mit Kindern macht ihr Spaß, ist aber in den vergangenen Jahren beim Brückenhaus ein bisschen zu kurz gekommen. Mit wenig Unterlagen hat sie sich aufs Geratewohl hin beworben. „Ich hatte ja nach der langen Zeit im Brückenhaus schon ewig keine Bewerbungen mehr geschrieben. Es waren fast 20 Jahre“, erzählt sie. Der Lebenslauf hat auf der spanischen Insel aber einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, der zu einem Telefonat und schließlich zu einem Flug nach Teneriffa führte. „Ich war noch nie dort - aber es hat alles gleich gepasst“, sagt sie. Die fünf Tage hat sie nicht nur für das Einstellungsgespräch genutzt, sondern auch gleich eine Wohnung gemietet und auch sonst die Lage sondiert, etwa nach den Lebenshaltungskosten, als klar war, dass sie die Stelle bekommt. „Wir haben ähnliche pädagogische Vorstellungen. Ich habe ein sehr engagiertes Team gesehen, alles sehr sympathische Leute“, war ihr positiver Eindruck von ihrer künftigen Wirkungsstätte.

Dann kam die Zeit der Offenlegung. Der Arbeitgeber und die Kollegen waren wenig begeistert, Jessica Villamar Ruiz zu verlieren. Ihr Steine in den Weg zu legen, war jedoch außerhalb jeder Diskussion. Auch ihr fällt es schwer, das Brückenhaus zu verlassen. Und dann sind da noch die Kinder: Carlo, elf Jahre, und die siebenjährige Yara. Ein bisschen Überzeugungsarbeit war zwar nötig, mittlerweile freuen sie sich beide auf das Abenteuer Auswanderung. Die Meernähe übt auf beide einen großen Reiz aus. Carlo will vielleicht surfen lernen und vor allem den große Aquapark besuchen, Yara freut sich vor allem auf das Meer und die Delfine. „Die Kinder lieben es, zu verreisen“, sagt Jessica Villamar Ruiz.

Die Entscheidung für alle sehr erleichtert - insbesondere für die Kinder - hat das Probejahr auf sämtlichen Ebenen: Jessica Villamar Ruiz hat einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag, die Wohnung auf Teneriffa ist bis Ende 2020 mit Verlängerungsoption gemietet, in die Kirchheimer Wohnung zieht auf ein Jahr eine Mädels-WG ein, und 2021 kann Jessica Villamar Ruiz wieder beim Brückenhaus arbeiten - wenn sie will. Dann allerdings nicht mehr als Geschäftsführerin. „Das wäre nicht in Ordnung, das so lange in der Schwebe zu lassen“, steht für sie außer Frage.

Ihre neue Arbeitsstätte liegt etwa zehn Kilometer südlich der Inselhauptstadt Santa Cruz in Tabaiba Alta auf ungefähr 350 Höhenmetern inmitten der subtropischen Vegetation der semiariden Inselostseite mit einem weiten Blick über das Meer - wie auf der Homepage der Schule zu lesen ist. Nicht weit davon entfernt ist auch die Wohnung. „In Spanien wird in der Regel möbliert vermietet, deshalb ist das Auto eigentlich nur mit Spielzeug und Kleidung voll - und dem Entsafter“, sagt Jessica Villamar Ruiz. Vor allem ihr Mann freut sich schon auf die frischen Früchte und Gewürze, die er teilweise aus seiner Heimat kennt, und erst recht auf Fisch. „Eine der ersten Aktionen wird sein, über den Markt zu schlendern und gucken, was es gibt“, sind sich beide sicher. Außerdem gibt es bis zum 8. Januar, ihrem ersten Arbeitstag, viel zu erledigen, etwa die Anmeldungen auf den Ämtern. „Heilige Drei Könige wird dort viel größer gefeiert als bei uns. In Spanien bringen sie die Geschenke. Deshalb gibt es dort zu Weihnachten keine Bescherung“, sagt sie. Gespannt sind alle auch schon auf die „tollen“ Tage auf Teneriffa: „Dort wird anscheinend der zweitgrößte Karneval nach Rio gefeiert.“

Hoffen auf mehr Gelassenheit

Sehr windig und bergig ist der Südostteil der Insel, wo die Schule liegt. „Der Süden ist total trocken, der Norden ist komplett anders mit Lorbeerwäldern und Bananenplantagen. Auf wenig Raum gibt es viele Unterschiede und mit dem Teide den höchsten Berg Spaniens“, zählt sie die Besonderheiten von Teneriffa auf. Der Teide ist 3715 Meter hoch und kann noch mit einer weiteren Besonderheit aufwarten: Mit 7500 Metern Höhe über dem Meeresboden ist er der dritthöchste Inselvulkan der Erde, und der Nationalpark um ihn herum wurde von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt. „Ich bin gespannt, wie es sich für mich anfühlt, auf einer Insel zu leben - wie eingesperrt? Denn so riesig ist Teneriffa nicht“, sagt die Noch-Kirchheimerin. Auf ihre Erwartungen in der neuen Heimat angesprochen, antwortet sie: „Ich habe die Hoffnung, dass ich mehr Gelassenheit und den ruhigeren Lebensstil ein bisschen übernehme. Ich hoffe auf weniger Stress und Hetze im Alltag und auf eine gewissen Entschleunigung.“

Die Gelassenheit in Person ist Alberto Villamar Ruiz. Weder die lange Autofahrt noch die Überfahrt mit der Fähre bereiten ihm Kopfzerbrechen, ebenso wenig der Neubeginn auf der Insel. „Mein Mann kann alles“, sagt Jessica Villamar Ruiz. Deshalb hat ihn sein Arbeitgeber ebenfalls ungern ziehen lassen. Er muss sich nach einem neuen Hausmeister umsehen. Vorerst kümmert sich Vater Alberto um Kinder und Haushalt, da seine Frau eine Hundert-Prozent-Stelle innehat. „Wenn alles in geordneten Bahnen läuft, dann sehen wir weiter“, sagt er in seiner ruhigen, zurückhaltenden und freundlichen Art.