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Todesfahrt von Reichenbach: Sechs Jahre Haft

Urteil Der Prozess um die Todesfahrt von Reichenbach vor dem Landgericht Stuttgart ist zu Ende: Die 34-jährige Angeklagte muss für sechs Jahre ins Gefängnis. Eine Schuldunfähigkeit konnte das Gericht nicht erkennen.

Reichenbach. Unter großem Publikumsinteresse und strengen Sicherheitsvorkehrungen ging der Prozess um die spektakuläre Todesfahrt bei Reichenbach vor dem Landgericht Stuttgart zu Ende. Die 34-jährige Angeklagte muss für sechs Jahre ins Gefängnis. Sie sei des Totschlags schuldig, weil sie Ende Mai ihren Lebensgefährten mit dem Auto überfahren und so zu Tode gebracht hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte sieben Jahre Freiheitsentzug gefordert, die Verteidigung hatte auf 3,5 Jahre Haft plädiert. Seit Ende Oktober war vor der 19. Strafkammer verhandelt worden.

Die Angeklagte, so der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung, habe Erlebnisse hinter sich, die ihr nicht gutgetan hätten. Sie habe in Beziehungen mit Männern Gewalt und Stalking erfahren und versucht, diese Belastungen mit Drogen zu betäuben. Der Geschädigte habe ihr zwar keine Gewalt angetan, aber auch er habe ihr insoweit nicht gutgetan, als gemeinsam Betäubungsmittel konsumiert wurden. Die Angeklagte habe den Mann an ihrem Arbeitsplatz kennengelernt, seinem hartnäckigen Werben nachgegeben und sei mit ihm ein schwieriges Verhältnis eingegangen. Das Paar habe aber trotz aller Schwierigkeiten nicht voneinander und der On-off-Beziehung lassen können. Der Geschädigte habe sich sogar den Namen der Angeklagten mit einem Unendlichkeitszeichen auf den Nacken tätowieren lassen, und es habe gemeinsame Pläne für einen Neubeginn in Sachsen gegeben.

„Schatz, du hast mein Handy“

Am Morgen jenes verhängnisvollen 30. Mai waren die beiden laut Urteilsbegründung gemeinsam zum Landratsamt Esslingen gegangen, um den Führerschein der Frau abzugeben, der ihr entzogen worden war. Danach habe ein erneutes Treffen am Bahnhof in Plochingen stattgefunden, bei dem es zu Spannungen gekommen sei. Der spätere Geschädigte hatte sich darüber geärgert, dass die Angeklagte Kontakt zu seinem Schwager aufgenommen hatte. Am Abend tauchte der Mann dann vor dem Wohnhaus der Angeklagten in Reichenbach auf und sie hörte ihn rufen: „Schatz, du hast mein Handy.“ Wohl aufgrund früherer negativer Erfahrungen mit anderen Partnern sei ein subjektives Angstgefühl bei der Frau ausgelöst worden. Sie ging in die Tiefgarage und startete ihr Auto.

Ob sie auf den Geschädigten zugefahren sei oder er auf die Motorhaube gesprungen sei, sei nicht mehr feststellbar, so der Richter. Jedenfalls war die Frau etwa 1,9 Kilometer mit dem sich auf der Motorhaube festklammernden Mann unterwegs gewesen, bis er abrutschte, unter das Auto geriet und am Folgetag in einem Krankenhaus verstarb. Die Hilferufe des Mannes und sein Schreien nach der Polizei während der Fahrt habe die Frau ignoriert, ein Abbremsen habe nicht stattgefunden.

Widerstandslose Festnahme

Die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sei nicht wesentlich eingeschränkt gewesen, so der Richter. Sie habe zwar unter Drogeneinfluss gestanden, habe Angst gehabt und vielleicht mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt, doch sie habe ihre Fahrt fortgesetzt und sei nach der Tat zielgerichtet zu einem befreundeten Ehepaar gefahren. Ihre Bekannten hätten nur einen Teil der Geschichte erfahren und hätten die Angeklagte zu ihrer Wohnung gefahren. Sie habe sich später widerstandslos von der Polizei festnehmen lassen und klar die Verantwortung für die Tat übernommen.

Verurteilt wurde die 34-Jährige auch wegen des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und des Fahrens ohne gültige Fahrerlaubnis, da sie ihren Führerschein am Morgen des Tattages abgegeben habe. Daher, so der Vorsitzende Richter, werde ihr die Fahrerlaubnis nach einem Verbüßen der Freiheitsstrafe auf sechs Monate entzogen.

Verzicht auf Rechtsmittel

Die Angeklagte nahm das Urteil mit leiser Stimme an. Das sei ein deutliches Zeichen ihrer am Vortag in ihrem Schlusswort bekundeten Reue und ein Signal an die Angehörigen des Opfers, so der Richter. Auch Verteidigung und Staatsanwaltschaft wollen auf das Einlegen von Rechtsmitteln verzichten. Simone Weiß