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„Trump trifft den Nerv der Zeit“

US-Wahl Hierzulande schüttelt fast jeder über den amerikanischen Präsidenten den Kopf. Doch für Melanie Frommer, die drei Jahre in den USA gelebt hat, ist der Wahlausgang offen. Von Irene Strifler

Leben, wo andere Urlaub machen: an den Niagara-Fällen.Foto: privat
Leben, wo andere Urlaub machen: an den Niagara-Fällen.Foto: privat
Melanie Frommer Foto: Jean-Luc Jacques
Melanie Frommer Foto: Jean-Luc Jacques

Politik ist wichtig. Auf diese Einstellung ist Melanie Frommer während ihres dreijährigen Amerika-Aufenthaltes immer wieder gestoßen. Aber: „Über Politik redet man nicht.“ Das politische Geschehen ist als Small-Talk-Thema genauso tabu wie Religion. „Die Amerikaner möchten sich da nicht outen - und wenn sie es tun, dann nehmen sie ganz, ganz eindeutige Positionen ein“, hat die Göppingerin beobachtet. Eine ihrer Erkenntnisse aus drei Jahren in Buffalo ist: Die Kultur der kritischen politischen Diskussion ist jenseits des gro­ßen Teiches einfach nicht so ausgeprägt wie hierzulande.

Unterschiede zeigen sich auch in der Art, sich zu informieren. Zwar läuft in amerikanischen Haushalten von früh bis spät die Flimmerkiste. Doch vielfach handelt es sich um Sender, die gar keine Nachrichten im Programm haben. Rund um die Uhr kann geshoppt oder der jeweilige Stand des Wetters verfolgt werden - Politik bleibt außen vor. Diejenigen Sender, die politische Infos bieten, sind meist regierungstreue Kanäle oder eben Sender der Gegenseite, es gibt eigentlich nur Schwarz oder Weiß. Objektivität, wie sie hierzulande angestrebt wird, existiert nicht, und die Mehrheit der Amerikaner vermisst da auch nichts. Überaus empfänglich sind sie dagegen für Instagram- und Twitter-­Tweeds. „Trump trifft voll und ganz den Nerv der Zeit“, ist die Überzeugung von Melanie Frommer. Sie und ihre deutschen Bekannten aus Amerika können sich darüber immer nur wundern.

Dass diese Eindrücke nur einen Teil der Gesellschaft spiegeln, ist der Kunsthistorikerin klar. Das gilt auch für die Zeit jetzt, in der sie immer noch engen Kontakt zu amerikanischen und deutschen Freunden aus den USA pflegt. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn war sie aus beruflichen Gründen nach ­Buffalo gezogen. Die Frommers hatten den Status der ­„Expats“ inne, Kurzform für „Expatriates“. Das sind Menschen, die vorübergehend im Dienste eines Unternehmens dort tätig sind. Die deutsche Firma hatte sich um vieles gekümmert, unter anderem um die Bleibe in ­Amherst, einem Vorort von ­Buffalo. Die Stadt liegt an den Großen Seen, genauer am Eriesee an der Grenze zu Kanada. Vielen Deutschen ist sie aus Fontanes Ballade über den tapferen Steuermann John ­Maynard bekannt.

Melanie Frommer lernte ­Buffalo in allen Facetten kennen und schätzte vor allem die Landschaft. „Ich bin mit dem Kinderwagen oft an den Niagara-Fällen spazieren gegangen und an den Wochenenden standen Ausflüge bevorzugt nach Kanada an“, schwärmt sie.

Doch die 275 000-Einwohner-Stadt im Bundesstaat New York hat auch massive Probleme. Als Standort der Stahl- und Automobil­industrie liegt die Arbeitslosigkeit über dem amerikanischen Bundesdurchschnitt. „Da gibt’s Viertel, in denen hätte ich mich nicht allein aus dem Auto getraut“, berichtet Frommer. Die Familien in den Vorstadtsiedlungen bleiben demzufolge unter sich. Besonders die jungen Mütter leben in ihrer eigenen Welt. „Die meisten sind mit ihren drei oder vier Kindern zu Hause, denn organisierte Kinderbetreuung gibt es nicht“, hat die Schwäbin, die schnell in den Kreis der ­„Northtown-Moms“ integriert wurde, beobachtet. Beherrschende Themen waren hier Lifestyle, gute Ernährung, gesunde Lebensführung: „Die Amerikaner sind konservativ und fortschrittlich zugleich.“

Als die Familie im August 2016 anreiste, stand die Präsidentenwahl bevor. Buffalo ist Trump-Land, das merkten die Ankommenden sofort: „Viele Vorgärten waren mit amerikanischen Flaggen und nationalen Symbolen geschmückt.“ Das ist übrigens dort auch jetzt nicht anders, wie die 38-Jährige aus mehr oder weniger entsetzten Berichten von ihrem Sprachlehrer und ihren Freundinnen weiß.

In der Wahlnacht vor vier Jahren wurde die Deutsche durch Daueralarm auf dem Handy geweckt. „Das kann doch nicht wahr sein“, „Was ist denn bei Euch los?“, empörten sich ihre Bekannten aus Deutschland, die das Wahlergebnis schon vernommen hatten. In ihrem direkten Umfeld traf sie jedoch selten auf unzufriedene Amerikaner. „Trump hat viele Themen besetzt, die für die Mittelschicht wichtig sind“, erklärt sie sich das und verweist auf die Zerstörung der stark kritisierten „Obama care“ und das Bedienen der Waffenlobby. Auch dass Trump Amerika an erster Stelle sieht, kommt gut an. Auf amerikanischen Pioniergeist nach dem Motto „Wir sind doch alle Ausländer“ ist Melanie Frommer selten gestoßen. Im Gegenteil: Sogar ein Mini-Job wurde ihr verwehrt - weil sie Ausländerin war.

Während in Europa in den vergangenen Monaten das Kopfschütteln über Trumps Politik wuchs, blieb - zumindest in Buffalo - die Zufriedenheit mit dem Präsidenten gefühlt unverändert groß. Nicht nur für ­Melanie Frommer ist die Wahl am 3. November alles andere als schon gelaufen.

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Von Schwaben in die USA

Melanie Frommer, Jahrgang 1982, ist in Göppingen aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete die Kunsthistorikerin beim Auktionshaus Dr. Fischer in Heilbronn. Dann bot sich ihr die Chance, ihren Mann, der für einen weltweit tätigen Automobilzulieferer arbeitet, für drei Jahre in die USA zu begleiten, gemeinsam mit dem kleinen Sohn. Dort fand sie viel Kontakt zu anderen Müttern, begann dann aber auch wieder zu arbeiten, und zwar als „Assistant Director“ in einer Firma. Im Juli 2019 kehrte die Familie plangemäß zurück und wohnt seither wieder in Göppingen. Melanie ­Frommer arbeitet jetzt in Kirchheim als Assistentin der Geschäftsleitung bei GO Druck Media Verlag, unter dessen Dach der Teckbote erscheint.ist