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„Tu es aus Liebe!“

Beim musikalisch-literarischen Abend im Hofgut Tachenhausen durchleben Besucher Kindheit und Alter

Dr. Waltraud Falardeau gab mit musikalischer Begleitung in Oberboihingen ungewöhnliche Tipps für ein besseres Leben – egal in welchem Alter.

Sabine Bartl begleitet den Abend an der Querflöte. Foto: Stefanie Klink
Sabine Bartl begleitet den Abend an der Querflöte. Foto: Stefanie Klink

Oberboihingen. Die gute Stimmung ist die Essenz dieses Abends: Alles passt zusammen. Musik, Texte und die überwältigend schöne Natur des Tachenhäuser Hofs in Oberboihingen harmonieren perfekt; den drei Protagonistinnen merkt man die stimmige Chemie und den Spaß am Thema an. Die Musik und die Texte stimmen nachdenklich, ohne Melancholie auszulösen. Im Gegenteil: Sie verdeutlichen den Zuschauern mit Humor, wie schön das Leben ist, wenn man es aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet.

Die Idee, den Gästen diesen Blickwinkel durch die Verbindung von Musik und Poesie nahezubringen, kam Flötistin Sabine Bartl schon früh, aber erst als Gabriele Hermann und Waltraud Falardeau hinzukamen, entwickelte sich das heutige Konzept. Seit 2007 begeistert das Ensemble Divertimento bei Veranstaltungen in ganz Süddeutschland.

Falardeau erläutert das Thema des Abends: Hermann Hesses „Mit der Reife wird man immer jünger“. Die Rezitatorin lädt dazu ein, herauszufinden, was sich hinter dieser Aussage verbirgt: „Jung und Alt sind eigentlich Konventionen, die nicht immer stimmen.“ Das sei kein festgelegter Zustand: Im Alter fühle so mancher sich jung, in der Jugend fühlten manche sich alt.

Die Kindheit wird unter anderem durch Texte von Gottlieb Konrad Pfeffel und Heinrich Heine verdeutlicht, die äußerst lebendig von Falardeau vorgetragen werden – mal frei, mal mithilfe der Originaltexte. Jeder Abschnitt wird musikalisch abgerundet von Sabine Bartl und Gabriele Hermann. Selbst wenn die Texte den Zuhörer manchmal nachdenklich zurücklassen, schaffen es die beiden, mit heiterem und lebhaftem Spiel zum eigentlichen Ziel des Abends zurückzuführen: „Glücklich sein und eine positive Einstellung mitnehmen“, so Hermann.

Die Jugend beschreibt Falardeau anhand des wunderschönen Textes eines unbekannten Verfassers als „einen Zustand der Seele“, ausgedrückt durch den „Willen zur Fantasie und des Überwiegens des Mutes über die Zaghaftigkeit“.

Es fällt leicht, Falardeau dabei zuzuhören. Man überhört kein einziges Wort, denn alle Aussagen sind intensiv auf den Punkt gebracht, sowohl in der Musik als auch in der Literatur.

Die Reife umschreibt Falardeau mit Goethes Worten: „Ich strebe, etwas Neues zu denken, um nicht langweilig zu werden.“ Sie weist auf das Wechselspiel hin, das das Reifen eines Menschen bestimmt: „Wie wir durch die neuere Hirnforschung wissen, sind wir in der Lage, Erfahrungen zu machen.“ Laut dem Neurobiologen Gerald Hüther bedeute dies, dass der Horizont das bestimmt, was sich in unserem Gehirn weiterentwickelt. Auf der anderen Seite sagt Erich Fromm: „Das Leben stellt Fragen an den Menschen.“ So schließt Falar- deau den Kreis mit den Worten: „Staunen, Innehalten und Dankbarkeit sind Elixiere für ein erfülltes Leben." Dann überrascht sie ihre Gäste mit statistischen Daten: „Je älter Menschen werden, desto häufiger sprechen sie über positive Gefühle“, meine eine aktuelle Studie.

Die gelungene Mischung aus Hirnforschung, Statistik, Poesie und Musik lässt beim Publikum wahrlich keine Langeweile aufkommen.

In der Pause sind die Gäste eingeladen, in den Gärten des Tachenhäuser Hofes lustzuwandeln. Zwischen den Rosensträuchern und den Bäumen, an deren Stämme Falardeau schon bei früheren Veranstaltungen Gedichte angebracht hat, können die Zuhörer das eben Gehörte verinnerlichen und die Atmosphäre genießen. Bartl beschreibt die Faszination des Abends damit, „dass man hören kann, wie die Literatur in der Musik weiterschwingen kann, wie es ineinandergreift.“

Nach der Pause fährt die Rezitatorin mit einem ihrer Lieblingsgedichte fort, einem Gedicht über die Zeit von Gottfried Keller, in dem es heißt: „Ein Tag kann eine Perle sein und ein Jahrhundert nichts“, und leitet sogleich elegant auf die nächste Stufe über mit dem Leitspruch „Wer aus der Reihe tanzt, lebt intensiver.“ Sie weist darauf hin, dass „Lauschen, Schauen, Staunen“ eine ganz andere Bedeutung haben als „Sehen“ und „Hören“.

Mit Joseph Beuys’ Worten geht Falardeau in die Lebensstufe Spielen über und fordert die Zuhörer auf, reichhaltiger und spielerischer zu agieren: „Pflanze unmögliche Gärten“, „Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein“, „Verweigere dich, verantwortlich zu sein – tu es aus Liebe!“, „Glaube an Zauberei, lache eine Menge“ und „Lass die Angst fallen, spiele mit allem.“

Der Abend enthält eine Menge Magie, eine Menge magischer Sätze, und der schönste kommt zum Schluss dieses Abschnitts: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ von Rainer Maria Rilke. Der Übergang, das Ende, als abschließende Lebensstufe, wird verdeutlicht durch Worte von Goethe: „Des Menschen Seele gleicht dem Wasser“ und „Des Menschen Schicksal gleicht dem Wind.“ Spätestens bei der darauf folgenden Musik kommt Gänsehautfeeling auf.

Das nächste Projekt des Ensembles wird am 9. Oktober im Bürgerzentrum Lichtenwald stattfinden. Der Titel lautet „Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden“. Ein weiteres Thema ist Mozart mit „Zwischen Noten und Notizen“, zu dem es im Herbst ebenfalls Veranstaltungen geben wird. Im Rahmen des Programms zum 500. Jahrestag der Reformation nächstes Jahr wird es auch ein Programm geben zum Thema „Luthers Bedeutung für die Sprache“.