Hochdorf. Ihre beiden Söhne haben Roswitha und Wolf-Rüdiger erfolgreich großgezogen, die beiden sind auch nach langer Zeit noch immer glücklich miteinander. Was aber nicht bedeutet, dass der Alltag des Ehepaars ganz unkompliziert wäre. Sie schlagen sich mit verschwundenen Passwörtern herum, mit dem Hörgerät, und mangelndem Tiefschlaf. Das Leben hat sich auch so grundlegend verändert: Die Rabattmarken von einst heißen jetzt Payback-Karte und statt Kochbücher gibt es Rezeptvideos im Internet. Und dann kommen neuerdings auch noch die Wortfindungsstörungen hinzu – wenn etwa Wolf-Rüdiger statt Osteoporose partout nur Osterode einfallen will.
Phantasie oder Beobachtung?
Natürlich sind Roswitha und Wolf-Rüdiger rein der Phantasie des Theologen Andreas Malessa, Jahrgang 1955 und in Hochdorf daheim, entsprungen. Oder doch nicht? Als Vortragsredner bundesweit unterwegs, muss Malessa oft auswärts nächtigen. Ist er nicht im Hotel, sondern in einem Privatquartier untergebracht, ist das typischerweise bei einer gastfreundlichen Familie, Was er dort so alles erlebt und beobachtet, hatte er schon in Vorgängerbänden liebevoll verarbeitet.
Roswitha und Wolf-Rüdiger sind beide kirchlich engagiert. Der Pfarrer fragt die beiden, wen er als Referenten zur Feierstunde „30 Jahre Wunder der Wende“ einladen kann. Christian Führer von den Leipziger Friedensgebeten und Hans-Dietrich Genscher sind gestorben, Joachim Gauck wohl ausgebucht, überlegt Roswitha, sie schlägt stattdessen den Posaunenchorwart Manni Kabulske vor. Der habe immerhin vor dem Stasibau mit dem Chor „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ geblasen. Es wird eine ganz wunderbare Gedenkveranstaltung.
Immer wieder hat ein Bibelzitat in den 26 luftigen Kurzgeschichten Platz genommen und passt dort bestens hin. Die kleinen und größeren Pleiten, Pech und Pannen im Alltag hat Malessa gut beobachtet. Wer im Leben nicht alles todernst nimmt und über sich selbst schmunzeln oder gar lachen kann, wird die lockeren Häppchen mit Genuss zu sich nehmen. Ganz nebenbei wird er zu mancher grundlegenden Lebensfrage geführt. Etwa der, wozu eigentlich Friedhofsmauern da sind. „Wer dahinterliegt, kann nicht raus“, sagt Wolf-Rüdiger. „Und wer davorsteht, will nicht rein.“ Peter Dietrich
„Retro sind wir einfach cooler“ ist bei Gerth Medien erschienen, hat 112 Seiten und kostet 12,95 Euro