Sind die angeblich etwas behäbigen südlichen Nachbarn in der Schweiz in Wirklichkeit mutig und fortschrittlich? Die Liste der innovativen Bauprojekte in Zürich, die Andreas Hofer beim Neujahrsempfang der Linken Kreis Esslingen mit vielen ausdrucksstarken Fotos vorstellte, schien jedenfalls kein Ende zu nehmen. Der Intendant der „Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart“ (IBA 2027) sprach in Kirchheim im voll besetzten Alten Gemeindehaus zum Thema „Soziale Stadt der Zukunft“.
„Andreas Hofer ist ein Visionär“, hatte Heinrich Brinker, Sprecher der Linken im Kreis Esslingen, den Referenten vorgestellt und betont, worum es ihm beim Neujahrsempfang gehe: nicht um eine Parteiveranstaltung, sondern um einen Austausch über Grenzen hinweg. Für die IBA 2027 hat Andreas Hofer eine langfristige Perspektive: „Diese Häuser werden auch in einer postfossilen Zeit noch funktionieren müssen.“
Baulicher Mix ist gefragt
Mutige bauliche Visionen gab es schon früher: Mit „La Finistère de Guise“ schuf ein Fabrikant in Nordfrankreich für seine Arbeiter eine Siedlung mit überdachtem Innenhof. Denn seine Arbeiter, befand er, sollten in Palästen wohnen. Nach seinem Tod schenkte er die Siedlung seinen Arbeitern, die Genossenschaft funktionierte aber nur bis 1980. „Wenn sie Gerechtigkeit gestalten wollen, wird es kompliziert. Sie brauchen viel ‚check and balances‘, warnte Andreas Hofer. Das Gewinnstreben eines Einzelnen sei eben einfacher.
Auch ein Hotel mit einer Farm auf dem Dach ist keine grüne Spinnerei - das Hotel hieß „The Ansonia“ und wurde 1904 in New York eröffnet. In Moskau stach ab 1928 das Narkomfin-Kommunehaus heraus, in Paris hingegen trieb der Mut im selben Jahr wilde Blüten: Der Architekt Le Corbusier schlug vor, Paris flächendeckend abzureißen und neu zu bebauen.
Eine Annahme aus den 1920er-Jahren war laut Andreas Hofer jedoch ein Irrtum - die Standardisierung des Wohnraums. Zu unterschiedlich seien in einer komplexen Gesellschaft die Bedürfnisse von Familien, Paaren, Singles und Wohngemeinschaften. Daher solle künftig ein Mix gebaut werden mit einer nötigen Mindestgröße. „Unter 100 Wohnungen und sechs Geschossen fangen wir nicht mehr an zu bauen.“ Sechs Geschosse mögen für manch einen eine Horrorvision sein. „Wir kämpfen gegen eine Angst vor der Dichte“, sagte Andreas Hofer.
Von gut 200 000 Züricher Wohnungen gehören 40 000 zu 125 Genossenschaften, 10 000 weitere gehören der Stadt. Diese oft alteingesessenen Genossenschaften sind mutig und denken nachhaltig. „Anfangs ist deren Neubau nicht viel günstiger, aber mit der Zeit werden die Wohnungen immer günstiger, während der freie Markt explodiert“, sagte Hofer.
Keine Beispiele aus der Region
Bei den Genossenschaften sauge eben niemand Geld ab. Ein Investor baue dagegen ein Projekt, in dem es beispielsweise nur Wohnungen mit 35 oder eben 200 Quadratmetern gibt, aber nichts dazwischen. Außerdem stellte Andreas Hofer das erste Niedrigenergiehaus der Schweiz und den ersten Holzbau in Europa mit sieben Stockwerken vor. Für Studenten und Flüchtlinge wird in Zürich in einer Mischung aus Container, Holz und Eigenbau gebaut. Der Intendant sprach dabei von einem „Universum von Wohnvorstellungen“.
Doch warum so viele Beispiele aus Zürich? Gerne hätte er welche aus der Region Stuttgart vorgestellt, entgegnete Andreas Hofer auf die Kritik eines Zuhörers. Aber es gebe sie nicht. Wieso, hat er direkt hinzugefügt: „Mir fehlt der Mut hier in der Region.“