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Verkleiden war schon immer ihr Ding

Fotografie Während der Corona-Quarantäne hat die Grafikerin Judith Fischer Kunstwerke nachgestellt und sich dabei abgelichtet. Als Versatzstücke dienten unter anderem Desinfektionsmittel und Klopapier. Von Corinna Meinke

Vor einer Landschaft aus Spannbettlaken und Sofakissen samt einem Wortspiel aus Buchstabenkeksen posiert die Hochdorferin in Anl
Vor einer Landschaft aus Spannbettlaken und Sofakissen samt einem Wortspiel aus Buchstabenkeksen posiert die Hochdorferin in Anlehnung an Jacques-Louis Davids „Napoleon überquert die Alpen“ und weist mit dem Desinfektionsspray den Weg. Fotos: pr

Mit einem Parforceritt durch die Kunstgeschichte hat sich Judith Fischer in beste Gesellschaft begeben. Immerhin standen das Rijksmuseum Amsterdam und das Paul Getty Museum in Los Angeles Pate für ein Kunstprojekt der Hochdorferin gegen den Coronablues. Beide Kunsttempel hatten nach einem Aufruf Zehntausende weltweit dazu bewegt, während der coronabedingten Quarantäne ihre Lieblingskunstwerke in den eigenen vier Wänden mit Alltagsgegenständen nachzustellen und davon Fotos zur Freude aller in die sozialen Netzwerke zu stellen. Lauter Anforderungen, bei denen es „bei mir Klick gemacht hat“, sagt die Grafikerin, die nicht nur komödiantische, sondern auch ausgeprägte verkleidungstechnische Interessen hegt und gerne auch pflegt

Judith Fischers Corona-Kunst spannt den Bogen von einer klassischen Hera-Statue aus dem fünften Jahrhundert vor Christus bis hin zum Bildnis der selbstbewussten Journalistin Sylvia von Harden, die Otto Dix 1926 porträtiert hatte. „Eigentlich wollte ich nur drei Bilder nachstellen“, berichtet Fischer vom Start in ihr Kunstabenteuer zu Beginn des Lockdowns. Und eigentlich wollte sie damit in erster Linie einen Wettbewerb unter ihren ebenfalls verkleidungswütigen Freundinnen anzetteln - doch beide Vorhaben gingen anders aus als gedacht.

Witzig und hintergründig

Die Freundinnen, die sich mehrmals im Jahr zu ebenfalls kostümträchtigen, privaten Krimidinner-Abenden treffen, waren von Fischers witzigen und zugleich hintergründigen Interpretationen offenbar so geplättet, dass sich keine aus der Deckung wagte. „Du bisch echt d’r Hammer“ und „Ich kann net mehr“, lauteten stattdessen die amüsierten Kommentare im Netz. Solch ein Zuspruch in den sozialen Netzwerken und aus dem Freundeskreis hatte sie immer weiter getragen und sie dermaßen Feuer fangen lassen, dass am Ende 23 Fotos entstanden sind, erzählt die Hochdorferin und lacht.

Zum Auftakt mimte sie im improvisierten Fotostudio vor der abgehängten Schrankwand im Wohnzimmer „Das Mädchen mit den Perlenohrringen“, ein populäres Werk des niederländischen Malers Jan Vermeer. „Mir kam gleich mein Tee-Ei in den Sinn“, erinnert sich Fischer schmunzelnd. Und schon habe sich die Suche nach einem adäquaten Schmuckstück erledigt. Und auch die übrigen Accessoires habe sie in ihrem Haushalt gefunden: Eine blaue Mülltüte und eine geknotete Feinstrumpfhose drapierte sie als Kopfschmuck, ein Stück Toilettenpapier verwandelte Judith Fischer in einen schmucken Blusenkragen.

Es habe ihr einen Heidenspaß bereitet, die einfachsten Utensilien treffend zu platzieren. Ein Wäscheständer geriet zur Harfe, eine komplette Nachttischlampe zum Kopfputz eines weiblichen Renaissance-Porträts. Kranzförmig aufgefädelte Klopapier-Papphülsen ahmen den gefältelten Kragen einer spanischen Hofdame nach. Und was zunächst nur als Ablenkung vom Quarantänealltag gedacht war, entwickelte sich zum fast tagesfüllenden Programm für die frei arbeitende Grafikerin und Fotografin, der mit Corona alle Jobs weggebrochen waren. Und weil die Pandemie auch vor Fischers Alltag nicht Halt machte, schlug sich das Krisenthema bei ihr bald bildlich nieder. So schlüpfte die Hochdorferin für Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ in einen Schutzanzug, um nicht ihre blanke Haut zu Markte tragen zu müssen und ergänzte das Thema mit blauen Einmalhandschuhen und einer Staubmaske.

Schlag auf Schlag ging es weiter. Toilettenpapier wurde gehamstert - also diente die weiße Rolle von da an als Daueraccessoire, genauso wie die Corona-Bierflasche und das Desinfektionsspray. Wie bei der Interpretation von Napoleons Überquerung der Alpen, die Jacques Louis David im Jahr 1800 ins Bild gesetzt hatte. In Ermangelung eines steigenden Vierbeiners, stemmte Fischer halt einen Drahtesel einhändig nach oben, das Klopapier immer griffbereit auf dem Gepäckträger. Und den ausgestreckten Arm des Korsen, der dem Fußvolk den Weg weist, ergänzte sie mit besagter Sprayflasche. Auch für die Arbeit im Homeoffice, Online-Sportkurse samt der coronabedingten Erschöpfung hat Fischer passende Werke mit viel Liebe zum Detail nachgestellt, von ihrer 17-jährigen Tochter ablichten lassen und anschließend am Rechner aufgehübscht.

Freude löste auch ihr Umgang mit den geschlossenen Friseurbetrieben aus: „Ich sehe auch bald so aus“ und „jeden Tag neue Überraschungen, herrlich“, kommentierten die Fans Fischers Pendant eines barocken Porträts einer Marquise, ebenfalls gemalt von Jacques-Louis David. Die Lockenpracht der feinen Dame ersetzte die Hochdorferin beherzt mit einem üppigen Kunstfell-Flokati.

„Mir hat die Kunst die Corona-Zeit versüßt“, blickt Fischer auf bewegte Wochen zurück. Schon lange habe sie sich nicht mehr so intensiv mit Kunst beschäftigt und viel Neues entdeckt. „Ich konnte meine Kreativität voll ausleben“. Und weil ihre Freundinnen regelrecht auf neue Überraschung warteten, habe sie wochenlang durchgehalten, bis sie ihre Fans mit der New Yorker Freiheitsstatue und dem Schillerzitat „Kunst ist Freiheit“ schließlich aus dem Kunstabenteuer in die Phase der Corona-Lockerungen entließ.

Die Harfespielerin, das Bild eines österreichischen Malers, nachgeahmt mit einem Wäscheständer und der Protagonistin Judith Fisc
Die Harfespielerin, das Bild eines österreichischen Malers, nachgeahmt mit einem Wäscheständer und der Protagonistin Judith Fischer. Foto: pr
Die Hochdorfer Grafikerin Judith Fischer. Foto: pr
Die Hochdorfer Grafikerin Judith Fischer. Foto: pr