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Verkorkste WM: Dasselbe in Grün

Aus Fußball-Deutschland scheitert – nicht grandios, aber historisch. Eine Chronologie der Ereignisse schildert, wie sich das gestern in Kirchheims Innenstadt angefühlt hat. Von Andreas Volz

Fussball-WM. Entsetzen nach dem Aus der deutschen Mannschaft nach der Vorrunde, dem Ausscheiden nach dem 0:2 gegen Südkorea, Fan
Da war der Spaß vorbei: Das 1:0 für Südkorea besiegelt das Aus in der WM-Vorrunde. Foto: Jörg Bächle

Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Und nicht nur das Spiel, sondern auch die gesamte WM und mit ihr der Traum von der Titelverteidigung. Dass das ohnehin nichts werden würde mit dem fünften Stern, war uns im Nachhinein ja sowieso allen klar. Aber dass wir schon in der Vorrunde scheitern würden - zum ersten Mal überhaupt -, das hätten wir dann doch nicht gedacht. Und auch noch als Gruppenletzter, hinter Südkorea - düpiert ausgerechnet von den Schweden im Fernduell! Von den Schweden, denen wir doch erst am Samstag noch gezeigt hatten, wo Thors Hammer hängt!

 

15 Uhr in Kirchheims Innenstadt: Gewiefte Strategen hatten sich schon im Vorfeld einen Platz auf einer der vielen Bierbänke gesichert, mit Premiumblick auf einen Bildschirm. „Reserviert“ heißt das Zauberwort für diejenigen, denen sich jetzt kein Sesam mehr öffnet. Was nimmt sich der deutsche Fan deswegen vor für die K-o.-Runde? „Nächstes Mal reserviere ich auch. Am besten schon fürs Finale, am 15. Juli! Wenn die Jungs dann in Moskau kicken, will ich in Kirchheim schließlich einen guten Platz.“ Über andere Dinge müssen wir uns zum Glück keine Sorgen machen. Wir spielen ja bloß gegen Südkorea, und die werden wir ja wohl noch wegputzen. Wo kämen wir sonst hin? Ins Aus etwa? Niemals! Wir doch nicht!

16 Uhr: Pünktlich mit dem Glockenschlag der Kirchheimer Rathausuhr pfeift Schiedsrichter Mark Geiger aus den USA das Spiel in Kasan an. Man denkt bei dem Nachnamen unwillkürlich ans Zählen: „Hoffentlich kann der die vielen deutschen Tore auch richtig zusammenzählen.“ Um Tipps sind die Kirchheimer nicht verlegen: „5:0“ sagen diejenigen, die sich eher für Realisten denn für Optimisten halten. Deutschland stößt an - wir auch: „Prost! Auf den Einzug ins Achtelfinale!“ Scheitern? Niemals! Schweden vielleicht. Oder Mexiko. Südkorea sowieso - aber sowas von, mit null Punkten. Wie auch sonst?

16.41 Uhr: Endlich gibt es einen Grund zum Anstoßen! Nein, nicht den eigentlichen Grund: Das Spiel plätschert so vor sich hin. Aber es gibt eine Trinkpause in Kasan. Irgendwann zeigt die Regie auch die Wolga, die gemächlich am Stadion vorbeifließt. Sie ist vor allem ungeheuerlich breit - so breit wie der Rücken von Manuel Neuer, auf den wir uns immer verlassen können. Und irgendwer wird doch vorne noch ein Ding reinknallen. Es kommt ja noch eine Halbzeit - und im Parallelspiel steht es auch noch 0:0. Da sollten wir uns zwar nicht drauf verlassen. Aber notfalls - was soll‘s? Lass die Mexikaner erst mal ein Tor schießen, dann reicht uns auch ein 0:0.

17.05 Uhr: Man verliert den Überblick, lebt nur noch im Hier und Jetzt, vor dem Bildschirm in Kirchheims Fußgängerzone. Südkorea stößt an - hoffentlich nicht zum letzten Mal. Deutschland kann sich noch ganz wunderbar am eigenen Schopf aus dem Vorrunden-Sumpf ziehen. Gut, die Frisuren unserer Spieler sprechen eher dagegen. Aber die Schweden treffen ja auch nicht! Wird schon!

17.11 Uhr: Schweden führt 1:0, meldet Jekaterinburg. Jetzt heißt es wirklich, die nächste Gelegenheit beim Schopf zu packen! Sonst geht noch alles die Wolga runter.

17.22 Uhr: 2:0 für Schweden. Kein Verlass auf Mexiko, war ja klar! Aber egal: Uns reicht ja auch ein 1:0. Wir schaffen das. Trotzdem steigt statt der Spannung die Nervosität - zumindest an der Lindach. An der Wolga eher nicht.

17.34 Uhr: Alter Schwede - 3:0! Einzelne verlassen ihren Platz vor dem Bildschirm, so langsam ist es aber auch wirklich unerträglich.

17.50 Uhr: Begeisterung brandet auf in Kirchheim: Als Nachspielzeit werden sechs Minuten angezeigt. Na also, weiterhin brauchen wir nur ein Tor. Wir haben Kroos!

17.52 Uhr: 1:0 für Südkorea - trotz Video-Assistent und möglichem Abseits. Kroos hebt das niemals auf, niemals! Wirklich nicht!

18 Uhr: Mit dem Glockenschlag der Kirchheimer Rathausuhr pfeift Mark Geiger in Kasan ab. Es steht jetzt 2:0 für Südkorea, aber darauf kommt es auch nicht mehr an. Wir haben hier Historisches erlebt, ein historisches Debakel. Hätten „wir“ wenigstens in den Heimtrikots spielen dürfen, wie gegen Schweden! Aber in Grün wird‘s halt nix.

18.01 Uhr: Ein Kurzkommentar in Kirchheims Fußgängerzone bringt alles auf den Punkt: „Hätt‘ i no weiterg‘schafft!“

18.02 Uhr: Ein weißes Cabrio biegt in die Alleenstraße ein. Der einsame Fahrer trägt ein weißes Deutschland-Trikot. Heute braucht er keine Hupe mehr.